Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Höhe des Sonderbedarfs für eine Erstausstattung bei Schwangerschaft. Verweisbarkeit auf Gebrauchtkleidung. angemessener Pauschalbetrag in Höhe von 156 Euro. nachvollziehbare Erfahrungswerte

 

Orientierungssatz

1. Nach § 23 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB 2 sind Leistungen für Erstausstattung bei Schwangerschaft nicht von der Regelleistung umfasst und werden gesondert erbracht.

2. Die Pauschale muss angemessen sein und auf einer hinreichend validen und belastbaren Datenbasis beruhen. Allein der spezifisch durch Schwangerschaft ausgelöste Bekleidungsbedarf ist zu berücksichtigen. Die Höhe der Pauschale unterliegt der richterlichen Kontrolle.

3. Ein Leistungsempfänger kann auf den Kauf von gebrauchten Artikeln verwiesen werden; denn der Kauf in sog Secondhand-Läden ist in weiten Bevölkerungskreisen allgemein üblich.

4. Ein zur Beschaffung einer vollständigen Erstausstattung mit Bekleidung zur Verfügung gestellter pauschaler Geldbetrag von 250 € erfüllt die Anforderungen an die Nachvollziehbarkeit iS von § 23 Abs 3 S 6 SGB 2 (Anschluss an BSG vom 13.4.2011 - B 14 AS 53/10 R = SozR 4-4200 § 23 Nr 12).

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 10. August 2010 wird aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen, soweit sie über das von der Rechtsvorgängerin des Beklagten abgegebene Teilanerkenntnis vom 2. Juli 2010 hinausgeht.

Der Beklagte hat der Klägerin die Hälfte ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, in welcher Höhe der Klägerin eine Zahlung wegen eines Sonderbedarfs für eine Erstausstattung bei Schwangerschaft zusteht.

Die 1978 geborene, ledige Klägerin stand seit 2005 im Leistungsbezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bei der Rechtsvorgängerin des Beklagten. Am 1. Februar 2010 bestätigte ihr Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe eine Schwangerschaft, der voraussichtliche Entbindungstermin sei der 19. September 2010. Mit am 15. Februar 2010 bei der Rechtsvorgängerin des Beklagten eingegangenem Schreiben beantragte die Klägerin eine Ausstattung für Schwangerschaft und Geburt und benannte u. a. hinsichtlich der Schwangerschaft einzelne Bekleidungsstücke.

Nachdem der Klägerin für die übrigen einmaligen Bedarfe Leistungen gewährt worden waren, bewilligte die Rechtsvorgängerin des Beklagten mit Bescheid vom 1. März 2010 der Klägerin für die Erstausstattung bei Schwangerschaft einen Betrag in Höhe von 77,00 EUR, dessen Herleitung sie der Höhe nach nicht näher begründete. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und machte geltend, sie habe einen Anspruch auf Gewährung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 138,37 EUR (bei einem geltend gemachten Bedarf i. H. von insgesamt 215,37 EUR, abzüglich gezahlter 77,00 EUR). Sie meinte, zwar sei die Behörde berechtigt, Pauschalen zugrunde zu legen, jedoch sei die gewährte Pauschale zu gering bemessen. Gemäß den Richtwerten der Berliner Senatsverwaltung vom 14. Dezember 2004 werde für den Erwerb von Schwangerschaftsbekleidung eine Pauschale in Höhe von 215,37 EUR zugrunde gelegt, was angemessen sei. Der Bedarf sei mit der gewährten Pauschale auch nicht zu finanzieren, wie sich aus Preislisten der Kaufhäuser C & A sowie H & M ergebe. Parallel dazu durchgeführt wurde ein weiteres Verwaltungsverfahren hinsichtlich einer Erstausstattung in Bezug auf die bevorstehende Geburt, das nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. April 2010 wies die Rechtsvorgängerin des Beklagten den Widerspruch der Klägerin mit der Begründung zurück, unter Schwangerschaftserstausstattung sei die Ausstattung mit Oberbekleidung zu verstehen, die aufgrund der körperlichen Veränderungen im Zuge einer Schwangerschaft notwendig sei. Unterwäsche zähle nicht hierzu. Die Oberbekleidung könne von der Klägerin aus der gezahlten Pauschale erworben werden. Ferner könne auch bereits vorhandene Bekleidung durch ein Bauchband ergänzt werden, sodass diese Kleidung mit Zunahme des Bauchumfangs auch weiter getragen werden könne; dies sei auch bei erwerbstätigen Schwangeren durchaus üblich. Zudem müsse die Klägerin nicht alle Bekleidung neu erwerben, denn gerade im Bereich der Schwangerschaftsbekleidung gebe es viele Geschäfte, die auf den Verkauf gebrauchter Kleidung spezialisiert seien. Ergänzend verwies die Rechtsvorgängerin des Beklagten auf eine durchgeführte Recherche beim Internet-Auktionshaus "E-bay".

Die Klägerin hat am 21. April 2010 Klage erhoben und zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Im Eilverfahren ist die Rechtsvorgängerin des Beklagten mit Beschluss des Sozialgerichts (SG) Oldenburg - S 48 AS 902/10 ER - vom 3. Mai 2010 verpflichtet worden, der Klägerin vorläufig weitere Leistungen für die Beschaffung von Schwangerschaftsbekleidung in Höhe von 173,00 EUR zu bewilligen, weil es einen Bekleidungsbedarf der Klägerin von pauschal 250,- EUR von sich aus annahm. Es hat aus...

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