Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsberechtigung bzw -ausschluss. Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsstrafe. kurzzeitige Unterbrechung wegen stationärer Krankenhaus- und Anschlussheilbehandlung. Aufenthaltsdauer. Vollverpflegung. örtliche Zuständigkeit des Leistungsträgers. gewöhnlicher Aufenthalt eines langjährigen Strafgefangenen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Leistungsausschluss wegen Aufenthalts in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung (§ 7 Abs 4 S 2 SGB II) gilt nicht, wenn die Vollstreckung der Freiheitsstrafe gemäß § 455 Abs 4 S 1 Nr 3 StPO für die Dauer eines außerhalb des Strafvollzugs durchgeführten stationären Heilverfahrens unterbrochen wird.

2. Bei der Berechnung der Dauer des Aufenthaltes im Krankenhaus (§ 7 Abs 4 S 3 Nr 1 SGB II) sind auch bei Strafgefangenen, deren Strafvollstreckung kurzzeitig nach § 455 Abs 4 S 1 Nr 3 StPO unterbrochen worden ist, nur die Zeiten der stationären Krankenhausbehandlung zu berücksichtigen. Die Zeiten des vorangegangenen oder nachfolgenden Strafvollzugs (als weiterer Ausschlussgrund nach § 7 Abs 4 S 2 SGB II) sind nicht einzuberechnen.

3. Die dem Betroffenen von einem Krankenhaus oder von einer Rehabilitationsklinik zur Verfügung gestellte Vollverpflegung führt weder zum teilweisen Wegfall der Hilfebedürftigkeit noch zu einer Minderung des zu gewährenden Regelbedarfs nach § 20 SGB II.

4. Bei langjährig Strafgefangenen kann die jeweilige Justizvollzugsanstalt der für die örtliche Zuständigkeit des Leistungsträgers maßgebliche Ort des gewöhnlichen Aufenthalts sein. In diesen Fällen bleibt die Justizvollzugsanstalt auch bei einer nur kurzfristigen Unterbrechung der Strafvollstreckung nach § 455 Abs 4 S 1 Nr 3 StPO der Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes.

 

Tenor

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 09. September 2016 wird abgeändert.

Der Beigeladene zu 1. wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 26. August 2015 bis zum 15. September 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von 279,30 € zu gewähren.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Der Beigeladene zu 1. erstattet dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge. Eine weitergehende Kostenerstattung findet nicht statt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II), hilfsweise nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeiten einer stationären Krankenhausbehandlung sowie einer Anschlussheilbehandlung (26. August 2015 bis zum 15. September 2015). In dieser Zeit wurde die Vollstreckung einer gegen den Kläger verhängten Freiheitsstrafe unterbrochen.

Der 1968 geborene Kläger befand sich unmittelbar vor dem streitbefangenen Zeitraum in Haft, nämlich seit dem 10. Juni 2013. Er war zunächst in der Justizvollzugsanstalt (JVA) G. inhaftiert, danach in der JVA H., Abteilung I. und ab dem 2. Juni 2014 erneut in der JVA G. (Landkreis Göttingen). Von dort erfolgte am 21. August 2014 die Verlegung in den Maßregelvollzug nach J. (Landkreis Northeim), von wo aus der Kläger am 30. April 2015 im Justizvollzugskrankenhaus K. (Landkreis Emsland) aufgenommen wurde. Am 04./05. Juni 2015 erfolgte die Rückverlegung über die JVA L. in die JVA G. (Landkreis Göttingen). Nach Angaben des Landkreises Northeim bezog der Kläger während der Zeit vom 10. Juni 2013 (Inhaftierung) bis zur Strafunterbrechung am 26. August 2015 nur vom 24. Juni 2013 bis 31. Mai 2014 Leistungen nach dem SGB XII (Taschengeld nach §§ 27, 27a SGB XII, vgl. im Einzelnen: Schreiben vom 16. Mai 2018).

Der Kläger war auch bereits vor dem 10. Juni 2013 inhaftiert gewesen, nämlich bis zum 17. Dezember 2012 in der JVA H.. Für die Zeit nach seiner Entlassung aus der JVA H. bis zur erneuten Inhaftierung am 10. Juni 2013 gewährte der Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem SGB II. Der Kläger hielt sich in dieser Zeit in M. (Landkreis Northeim) auf und empfing seine Post über die Einrichtung „N.“ M., O., ohne dort jedoch zu wohnen. Vielmehr war der Kläger in dieser Zeit durchgängig obdachlos. Zwar ist für die Zeit ab dem 1. April 2013 auch ein Mietvertrag für eine Wohnung in der P. 1 in M. aktenkundig. Diese Wohnung wurde vom Kläger jedoch offensichtlich nie bewohnt.

Am 26. August 2015 wurde die Strafvollstreckung gemäß § 455 Abs 4 Satz 1 Nr 3 Strafprozessordnung (StPO) für die Dauer einer stationären Heilbehandlung unterbrochen. Er wurde zunächst am 26. August 2015 in die Universitätsmedizin Q. überführt und unterzog sich dort einer Herzoperation. Am 4. September 2015 wurde er zur Anschlussheilbehandlung in die R. -Klinik nach S. verlegt (damals: Landkreis T.; seit 1. November 2016: Landkreis Q.). Am 15. September 2015 wurde er nach disziplinarisch bedingter Entlassung aus der Reha-Klinik wiederum in die JVA G. (Landkreis Q.) eingeliefert, um dort die S...

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