Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Zugunstenverfahren. Umfang der Überprüfungspflicht. Einkommensberücksichtigung. rechtswidrige endgültige Entscheidung statt vorläufiger Bewilligung. unregelmäßige Unterhaltszahlungen. Zuflussprinzip

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nimmt der Grundsicherungsträger aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten nach § 44 SGB X eine Überprüfung in der Sache vor, kann er im Klageverfahren nicht damit gehört werden, dass er zu einer derartigen inhaltlichen Überprüfung und Bescheidung in Ermangelung eines den formellen Erfordernissen genügenden Antrags eigentlich gar nicht verpflichtet gewesen wäre.

2. Das in § 44 SGB X zum Ausdruck kommende Gebot, der materiellen Gerechtigkeit zum Erfolg zu verhelfen, bedeutet, dass im Zugunstenverfahren einem Leistungsberechtigten (nur) diejenige Leistung zu gewähren ist, die ihm nach materiellem Recht bei von Anfang an zutreffender Rechtsanwendung zugestanden hätte (Anschluss an BSG, Urteile vom 22.3.1989 - 7 RAr 122/87 = SozR 1300 § 44 Nr 38 - Rn 23 f und vom 28.5.1997 - 14/10 RKg 25/95 = SozR 3-1300 § 44 Nr 21, Rn 20).

3. Wären bei zutreffender Rechtsanwendung (vorläufige Leistungsgewährung bei unregelmäßigen Einkommen und endgültige Festsetzung nach Feststellung des tatsächlich zugeflossenen Einkommens) keine Nachzahlungsansprüche entstanden, führt auch ein gezielt für diejenigen Leistungsmonate, in denen kein Einkommen zugeflossen ist, gestellter Überprüfungsantrag nicht zu derartigen Ansprüchen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 07.12.2017; Aktenzeichen B 14 AS 8/17 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 28. März 2014 dahingehend geändert, dass hinsichtlich der Monate Juni, August und November 2008 die Klage vollumfänglich abgewiesen wird sowie hinsichtlich der Monate Februar, April und Juli 2009 bei der Neuberechnung der Leistungsansprüche auch Betreuungsgeld in Höhe von 440,14 € und Unterhalt in Höhe von 265 € anzurechnen sind und die Klage im Übrigen abgewiesen wird.

Die weitergehende Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat den Klägern 1/4 der notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger begehren im Überprüfungsverfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für einzelne Monate des Zeitraums von Juni 2008 bis September 2009.

Die 1971 geborene, alleinstehende Klägerin zu 1) und ihr 2005 geborener Sohn (Kläger zu 2) standen bei dem Beklagten als Bedarfsgemeinschaft im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II. Sie bewohnten in dem streitbefangenen Zeitraum eine (über eine Gaszentralheizung beheizte) Mietwohnung in Delmenhorst, für die eine Bruttokaltmiete in Höhe von 365 € nebst Heizkosten von 70 € (ab 1. Januar 2009: 85 €) anfielen. Als Einkommen bezog die Klägerin zu 1) Kindergeld (154 € bzw. ab 1. Januar 2009 164 €) und der Kläger zu 2) ab Dezember 2008 Wohngeld (110 € bzw. ab 1. Januar 2009 144 €). Die Klägerin zu 1) hatte ferner Anspruch auf Betreuungsgeld vom Vater ihres Kindes, des Klägers zu 2), in Höhe von 441,14 € sowie der Kläger zu 2) Anspruch auf Unterhalt (267,00 € bzw. ab 1. Januar 2009 265 €). Die Zahlungen des Kindsvaters erfolgten allerdings in unregelmäßigen Abständen - teilweise am Monatsanfang und teilweise bereits am Ende des Vormonats - bzw. ab Juli 2009 auch in reduzierter Höhe. Gleichwohl legte der Beklagte bei seinen (bestandskräftig gewordenen) Bewilligungen für die jeweiligen Leistungsmonate, die allesamt ohne Vorläufigkeitsvorbehalt erfolgten, zunächst Zahlungen des Kindsvaters in Höhe von 441,14 € (Betreuungsgeld) und 267 € (Unterhalt), insgesamt also 708,14 €, als Einkommen zugrunde (Juni 2008: Bewilligungsbescheid vom 22. April 2008; Juli bis September 2008: Änderungsbescheid vom 28. Mai 2008; Oktober bis Dezember 2008: Bewilligungsbescheid vom 22. August 2008; Januar bis März 2009: Änderungsbescheid vom 17. Februar 2009; April bis Juni 2009: Bewilligungsbescheid vom 18. Februar 2009). Im Juli 2009 rechnete er sodann nur noch Unterhaltszahlungen in Höhe von 267 € an, im August 2009 53 € (Änderungsbescheid vom 12. August 2009) und im September 2009 265 € (Änderungsbescheid vom 19. August 2009). Tatsächlich sind die Zahlungen des Kindsvaters (Betreuungsgeld und Unterhalt) für den streitbefangenen Zeitraum wie folgt auf dem Girokonto der Klägerin zu 1) eingegangen:

Juni 2008:

         0 € (zuvor am 30. Mai 2008: 708,14 €)

Juli 2008:

708,14 € (1. Juli 2008)

708,14 € (30. Juli 2008)

August 2008

         0 €

September 2008

708,14 € (1. September 2008)

708,14 € (30. September 2008)

Oktober 2008

708,14 €  (30. Oktober 2008)

November 2008

         0 €

Dezember 2008

708,14 € (2. Dezember 2008)

708,14 € (30. Dezember 2008)

Januar 2009

703,14 € (30. Januar 2009)

Februar 2009

         0 €

März 2009

705,14 € (3. März 2009)

705,14 € (31. März 2009)

April 2009

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