Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Angemessenheit der Unterkunftskosten. Wohnflächengrenze für Alleinerziehende in Niedersachsen. Fehlen eines schlüssigen Konzepts. Anwendung der Wohngeldtabelle. Sicherheitszuschlag. Schätzung der angemessenen Heizkosten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Soweit es an einem sog "schlüssigen Konzept" zur Prüfung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft (KdU) fehlt und deshalb entsprechend der Rechtsprechung des BSG auf die Tabellenwerte nach § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) abzustellen ist, sind die dort genannten Beträge um einen sog "Sicherheitszuschlag" zu erhöhen. Die Notwendigkeit eines solchen Sicherheitszuschlags ist durch das Inkrafttreten der "neuen" Tabellenwerte nach § 12 WoGG nicht entfallen.

2. In Niedersachsen erhöht sich bei Alleinerziehenden der angemessene Wohnraumbedarf entsprechend den Niedersächsischen Wohnraumförderungsbestimmungen (WFB 2003) um 10 qm. Ist bei der Prüfung der Angemessenheit der KdU auf die Tabellenwerte nach § 12 WoGG abzustellen, ist dem erhöhten Wohnraumbedarf durch die Hinzurechnung eines fiktiven Haushaltsmitglieds Rechnung zu tragen (Anschluss an ua LSG Celle-Bremen vom 12.8.2011 - L 15 AS 173/11 B ER).

3. Zur Schätzung der angemessenen Heizkosten bei gleichzeitig unzureichender Wärmedämmung, veralteter und besonders energieintensiver Heizung sowie einer insgesamt unangemessenen (dh insgesamt deutlich zu großen) Wohnung.

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 27. September 2011 wird geändert.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung und unter dem Vorbehalt des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens verpflichtet, den Antragstellern vorläufige Kosten der Unterkunft i.H.v. 836,- Euro für den Monat Oktober 2011 sowie i.H.v. 1.068,- Euro pro Monat für die Monate November 2011 bis Januar 2012 zu zahlen.

Im Übrigen werden der Eilantrag abgelehnt sowie die Beschwerde der Antragsteller und die Anschlussbeschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.

Der Antragsgegner erstattet den Antragstellern die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge in vollem Umfang.

Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin J. bewilligt. Raten sind nicht zu zahlen.

 

Gründe

I.

Die Antragsteller begehren vom Antragsgegner die vorläufige Gewährung höherer Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Die 1976 geborene Antragstellerin zu 1) sowie ihre 1999, 2003 und 2008 geborenen Kinder (die Antragsteller zu 2) bis 4)) stehen bereits langjährig im Bezug von SGB II-Leistungen. Bis zum 15. September 2010 lebte auch noch das vierte Kind der Antragstellerin zu 1), ihre 1995 geborene Tochter K., in der Bedarfsgemeinschaft. Die Antragstellerin zu 1) steht unter Betreuung für die Bereiche Vermögenssorge einschließlich der Verfolgung aller Ansprüche der Betroffenen, Angelegenheiten der Wohnung und Wohnungssuche, Vertretung gegenüber Behörden, Gerichten und anderen Stellen (Beschluss des Amtsgerichts L. - Vormundschaftsgericht - vom 25. Januar 2006).

Seit dem 1. Juni 2009 bewohnen die Antragsteller eine Mietwohnung im M. in N.. Es handelt sich hierbei um eine Doppelhaushälfte mit 130 qm Wohnfläche. Während das Erdgeschoss mit einer Gaszentralheizung ausgestattet ist, können die im Obergeschoss befindlichen Kinderzimmer nur mittels elektrisch betriebener Radiatoren beheizt werden. Ein separater Zähler für Heizstrom existiert nicht. Die Miete beträgt derzeit 650,00 Euro (zzgl. 39,00 Euro Abschlag für Frisch- und Schmutzwasser). Für die Gasversorgung waren zunächst monatliche Abschläge von 147,00 Euro zu zahlen, für die Stromversorgung 587,00 Euro.

Der Antragsgegner hatte den Antragstellern bereits vor dem Einzug in die Doppelhaushälfte mitgeteilt, dass lediglich eine Kaltmiete (inkl. Nebenkosten) von maximal 670,00 Euro pro Monat übernommen werden könne (für die damals noch fünfköpfige Bedarfsgemeinschaft, vgl. Schreiben vom 23. April 2009, Bl. 871 VA). Nachdem die älteste Tochter der Antragstellerin zu 1) im September 2010 ausgezogen war, forderte der Antragsgegner die Antragsteller auf, spätestens ab 1. Oktober 2011 ihre Kosten für Unterkunft (KdU) und Heizung zu senken. Für die Bedarfsgemeinschaft von nur noch 4 Personen betrage die maximal angemessene Wohnungsgröße 85 qm. Heizkosten könnten höchstens i.H.v. 1,50 Euro pro qm (begrenzt auf die maximal angemessenen 85 qm), d.h. höchstens i.H.v. 127,50 Euro übernommen werden. Die Antragsteller wurden aufgefordert, bis spätestens 30. September 2011 ihre Unterkunftskosten zu senken (z. B. durch Umzug in eine günstigere Wohnung, Untervermietung usw.). Für die Zeit ab 1. Oktober 2011 könnten lediglich noch die angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung berücksichtigt werden (Bescheid vom 4. März 2011, Bl. 1389 VA).

Entsprechend dieser Ankündigung berücksichtigte der Antragsgegner bei der Berechnung der den Antragstellern für die Zeit vom 1. Oktober 2011 bis 31. März 2012 zustehenden SGB II-Leistungen ...

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