Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Vermögensberücksichtigung. vereinfachtes Verfahren aus Anlass der Corona-Pandemie. Nichtberücksichtigung von Vermögen für die Dauer von sechs Monaten. Ablehnung eines Leistungsantrags in der Vergangenheit wegen vorhandenen Vermögens. Vorhandensein erheblichen Vermögens. Festlegung einer Freibetragsgrenze in Höhe von 60.000 Euro. Orientierung an der Vermögenssteuer

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das vereinfachte Antragsverfahren nach § 67 Abs 2 SGB II mit der Eigenerklärung der Antragsteller, über kein erhebliches Vermögen zu verfügen, erfasst nicht Personen, deren Hilfebedürftigkeit wegen vorhandenen Vermögens in der Vergangenheit bereits verneint wurde.

2. Ein Vermögensfreibetrag für das erste zu berücksichtigende Haushaltsmitglied in Höhe von 60.000 Euro während der Coronapandemie ist gesetzlich nicht vorgesehen.

3. Die Orientierung an früheren Freibetragsgrenzen der seit Jahren abgeschafften Vermögenssteuer ist kein geeigneter Maßstab, um grundsicherungsrechtlich Schonvermögen zu bestimmen.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 18. Dezember 2020 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten sind Leistungen der Antragstellerin zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) streitig.

Die am B.. November 1981 geborene Antragstellerin ist Juristin, war bis Ende 2018 bei der Deutschen Bundespost beschäftigt und erhielt ab dem 1. Januar 2019 Arbeitslosengeld in Höhe von 64,86 EUR täglich. Vom 21. November 2019 bis zum 24. April 2020 nahm sie auf Kosten der Bundesagentur für Arbeit an einer Weiterbildungsmaßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung teil. Daran schloss sich der einmonatige Anspruch auf Anschluss - Arbeitslosengeld bis zum 24. Mai 2020 an. Die Antragstellerin wohnt noch bei ihren Eltern, die beide Grundsicherungsleistungen beziehen, in einer Dreizimmerwohnung bei einer Gesamtmiete von 718 EUR monatlich.

Am 5. Mai 2020 beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner die Bewilligung von SGB II - Leistungen. In dem am 22. Mai 2020 abgegebenen, vereinfachten Antrag verneinte die Antragstellerin die Frage, ob sie über ein erhebliches Vermögen verfüge. Da die Antragstellerin gleichzeitig die Anlage VM zur Feststellung der Vermögensverhältnisse, die zu Pandemiezeiten nur bei erheblichem Vermögen benötigt wird, mit unklaren Angaben abgegeben hatte, verlangte der Antragsgegner weitere Auskünfte sowie die Vorlage von Kontoauszügen. Daraus ergab sich, dass auf dem Girokonto der Antragstellerin bei der Sparkasse C. am 1. Mai 2020 ein Guthaben von 63.401,83 EUR und am 9. Juni 2020 ein Guthaben in Höhe von 60.074,50 EUR vorhanden war. Der Antragsgegner forderte die Antragstellerin auf, Belege über die Verwendung der Bargeldabhebungen in Höhe von jeweils 2.000 EUR am 4. Mai und am 18. Mai 2020 vorzulegen. Nachdem die Antragstellerin dieser Aufforderung nicht nachkam, lehnte der Antragsgegner mit bestandskräftigem Bescheid vom 25. Juni 2020 den Antrag ab, weil das verwertbare Vermögen der Antragstellerin den Vermögensfreibetrag in Höhe von 60.000 EUR übersteige.

In Folge der pandemiebedingten Sonderregelung in § 421d Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) wurde der Anspruch der Antragstellerin auf Arbeitslosengeld um 3 Monate bis zum 25. August 2020 verlängert. Am 18. August 2020 stellte die Antragstellerin beim Antragsgegner einen neuen Antrag auf Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ab dem 26. August 2020. Aus den vom Antragsgegner angeforderten Kontoauszügen ergab sich zum 1. August 2020 ein Guthaben von 59.035,37 EUR. Auf die Anfrage des Antragsgegners, die Verwendung der Bargeldabhebungen von jeweils 2.000 EUR am 13. Juli, 27. Juli und 27. August 2020 nachzuweisen, teilte die Antragstellerin mit, dass diverse Gegenstände für ihren Beruf als Rechtsanwältin und für die Wohnung angeschafft worden seien, wobei keine Belege mehr vorhanden wären, weil diese entweder nicht aufgehoben oder die Gegenstände privat und ohne Rechnung gekauft worden seien, weil auch keine Verpflichtung bestehe, Quittungen aufzubewahren. Ferner habe sie für eine MRT-Untersuchung der Mutter 1.300 EUR gezahlt, weil die Krankenkasse diese Kosten nicht übernommen habe; aus Gründen des Datenschutzes könne sie aber keine Belege übersenden, weil diese Angelegenheit eine dritte Person betreffe.

Mit Bescheid vom 12. November 2020 lehnte der Antragsgegner den Antrag mit der Begründung ab, dass Vermögen in Höhe von 65.915,56 EUR vorhanden sei. Zwar habe am 31. August 2020 das Guthaben auf dem Girokonto nur 59.915,56 EUR betragen. Es sei aber insgesamt von einem höheren Vermögen auszugehen, da Nachweise über die Bargeldabhebungen von insgesamt 6.000 EUR nicht erbracht worden seien. Hiergegen legte die Antragstellerin am 16. November 2020 Widerspruch ein, über den - soweit ersichtlich - noch nicht entsc...

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