Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Bürgergeld. Unterkunft und Heizung. Erteilung einer Zusicherung zur Berücksichtigung der Aufwendungen für eine neue Unterkunft. endgültige Vorwegnahme der Hauptsache. Angemessenheit der Unterkunftskosten. konkrete Angemessenheit nach den Besonderheiten des Einzelfalles

 

Leitsatz (amtlich)

1. Aus Gründen der Effektivität des Rechtsschutzes ist es unter engen Voraussetzungen zulässig, den zuständigen Träger bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Erteilung einer endgültig wirkenden Zusicherung nach § 22 Abs 4 SGB II zu verpflichten.

2. Liegen relevante Besonderheiten des Einzelfalls vor, können tatsächliche Aufwendungen über das abstrakte Maß hinaus im Rahmen des § 22 Abs 1 S 1 SGB II angemessen sein und bei einem Wohnungswechsel den verfügbaren angemessenen Wohnraum erweitern.

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 10. August 2023 wird aufgehoben.

Der Antragsgegner wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin die Übernahme der Unterkunftskosten der Wohnung H., I., gemäß dem Angebot der J. vom 27. September 2023 zuzusichern.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die Erteilung einer Zusicherung nach § 22 Abs. 4 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zur Berücksichtigung der Aufwendungen für eine neue Unterkunft.

Die 1976 geborene, alleinstehende Antragstellerin steht mit ihren fünf Kindern (22, 17, 16, 10 und 9 Jahre alt) als Bedarfsgemeinschaft bei dem Antragsgegner im laufenden Leistungsbezug nach dem SGB II. Die Familie bewohnt eine im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses gelegene, 83 qm große Vier-Zimmer-Wohnung im K. Stadtteil L.. Das Gebäude verfügt über keinen Aufzug. Die tatsächlichen Aufwendungen für die Mietwohnung (aktuell 885 € bruttowarm) werden von dem Antragsgegner in voller Höhe bei der Leistungsberechnung berücksichtigt (zuletzt mit Bewilligungsbescheid vom 23. August 2023 für den Bewilligungszeitraum von September 2023 bis August 2024).

Der 2001 geborene Sohn der Antragstellerin, M. N., ist pflegebedürftig (Pflegegrad 4) und auf einen Rollstuhl angewiesen. Bei ihm sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen B (Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson), G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) sowie H (Hilflosigkeit) anerkannt. Die Antragstellerin ist zur Betreuerin bestellt. Der Sohn kann die aktuell bewohnte Wohnung nur mit umfassender personeller Unterstützung (Transfer durch das Treppenhaus) verlassen. Im Oktober 2022 wandte sich die Antragstellerin an den Antragsgegner und bat um Klärung, in welcher Höhe in ihrem besonderen Einzelfall die Miete übernommen werde. Die J. verfüge über eine geeignete, behindertengerechte Wohnung, wolle ihr allerdings kein Angebot aushändigen, da die Miete vom C. wahrscheinlich nicht übernommen werde. Ein Wohnungswechsel sei dringend erforderlich. Ihr Sohn sei praktisch in der Wohnung eingeschlossen und könne nicht am normalen Leben teilnehmen. In einem zur Vorlage bei der J. sowie bei dem Antragsgegner gefertigten (älteren) Stellungnahme des Amtes für Soziale Dienste (O. - Jugendamt) vom 15. August 2019 war bereits eine „Wohnraumveränderung“ befürwortet worden, weil eine gemeinsame Zimmernutzung durch die Kinder aufgrund ihres Alters und Geschlechts kein dauerhaft tragbarer Zustand sei und zudem M. aufgrund seiner Erkrankung dringend ein eigenes Zimmer benötige. Der Hausarzt P. empfahl in einem Attest vom 23. September 2022 nunmehr dringend den Umzug in eine (möglichst barrierefreie) Wohnung im Erdgeschoss, um M. eine Teilhabe am öffentlichen Leben zu ermöglichen. Die Antragstellerin legte ferner ein Bestätigungsschreiben der J. vom 8. August 2018 vor, wonach sie sich seit 2012 um eine größere Wohnung bei der J. bemühe und der Umzugswunsch bislang bedauerlicherweise nicht habe unterstützt werden können. Der Antragsgegner stellte daraufhin ein Schreiben vom 20. Oktober 2022 aus, wonach die Erforderlichkeit eines Umzugs anerkannt werde und die J. auch Mietangebote oberhalb der Richtwerte unterbreiten könne, die dann individuell geprüft würden.

In der Folgezeit übersandte die Antragstellerin ein Mietangebot der J. vom 2. November 2022 über eine rollstuhlgerechte Wohnung in der Q. (R. -S.), die hinsichtlich ihrer Größe (144,12 qm) und der Zimmerzahl (fünf Zimmer nebst Küche und Bädern) mit der im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen, in demselben Häuserblock gelegenen Wohnung identisch war. Für diese Wohnung wäre eine Gesamtmiete (inkl. Wasser) von 1.573 € angefallen (940 € Grundmiete, 413 € Betriebskostenvorauszahlung, 220 € Heizkostenvorauszahlung). In einem Laufzettel vom 3. November 2022 befürwortete das T. (U.) - die Kostenübernahme. Die Familie befinde sich seit Jahren auf Wohnungssuche. Für die e...

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