Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Übernahme ungedeckter Heimkosten. Hilfe zum Lebensunterhalt. sonstige Hilfen zur Sicherung der Unterkunft. Übernahme von Schulden. Entstehung nach Antragstellung. Hilfe zur Pflege. stationäre Pflege. Befugnis des Sozialhilfeträgers zur Leistung unechter Sozialhilfe gegen Aufwendungsersatz. Ermessensreduzierung auf Null

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einer Unterbringung in einem Pflegeheim stellt § 36 SGB XII zumindest hinsichtlich der Kosten, die auf die Zeit nach der Beantragung von Sozialhilfe entfallen, keine Anspruchsgrundlage dar (vgl BSG vom 12.12.2013 - B 8 SO 24/12 R = SozR 4-3500 § 67 Nr 1).

2. Zur Befugnis des Sozialhilfeträgers, in Notlagen trotz möglicherweise einzusetzendem Einkommen oder Vermögen Sozialhilfe zu leisten (unechte Sozialhilfe gegen Aufwendungsersatz gem § 19 Abs 5 SGB XII; vgl BSG vom 20.9.2012 - B 8 SO 20/11 R = SozR 4-3500 § 19 Nr 4).

3. Dem Sozialhilfeträger steht bei der Entscheidung, ob er von der Befugnis Gebrauch macht, grundsätzlich ein Ermessen zu.

 

Orientierungssatz

Das Ermessen des Sozialhilfeträgers hinsichtlich der Erbringung unechter Sozialhilfe gegen Aufwendungsersatz nach § 19 Abs 5 SGB 12 in Form der Übernahme ungedeckter Heimkosten kann auf Null reduziert sein, wenn der Heimvertrag aufgrund der Zahlungsrückstände gekündigt wurde und ein Wechsel in eine andere Einrichtung nicht zumutbar ist.

 

Normenkette

SGB XI § 4 Abs. 2 S. 2; SGB XII § 19 Abs. 3, 5 S. 1, § 36 Abs. 1 S. 1, § 61 Abs. 1, 2 Sätze 1-2, § 92 Abs. 1 S. 1; SGG § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4; PO § 920 Abs. 2; BHSG § 11 Abs. 2 S. 1, § 29 S. 2

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover 31. Juli 2014 wird zurückgewiesen.

2. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu erstatten.

 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die darlehensweise Übernahme von ungedeckten Heimkosten in Höhe von 10.387,00 €.

Die 1947 geborene Antragstellerin, die unter einer Demenzerkrankung leidet und bei der Pflegebedürftigkeit gemäß Pflegestufe II festgestellt worden ist, wird seit dem 23. Mai 2013 im Altenzentrum D., Hannover, vollstationär gepflegt. Die Pflege erfolgte zunächst - bis zum 12. Juni 2013 - als Kurzzeitpflege (§ 42 SGB XI) und im Anschluss - bis zum 3. Juli 2013 - als Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI). Die dauerhafte vollstationäre Pflege wurde am 4. Juli 2013 aufgenommen. Die Antragstellerin erhält insoweit von ihrer Pflegekasse Leistungen gemäß § 43 SGB XI.

Am 24. Mai 2013 beantragte die Antragstellerin Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des SGB XII. Nach Ermittlungen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Antragstellerin und ihres Ehemannes erklärte sich der Antragsgegner bereit, die ungedeckten Heimkosten darlehensweise zu übernehmen; Bedingung hierfür sei die Eintragung einer Grundschuld in Höhe von 60.000,00 € zu Gunsten des Antragsgegners für das Grundstück E., Clausthal-Zellerfeld (Schreiben vom 4. Oktober 2013). Alleineigentümer dieses mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks ist der Ehemann der Antragstellerin, der das Wohnhaus bewohnt. Außerdem gehört zum Wohnhaus, das eine Wohnfläche von insgesamt etwa 182 m² hat, eine vom Ehemann vermietete Wohnung mit einer Wohnfläche von etwa 75 m². Nachdem der Ehemann die Eintragung einer Grundschuld mit Schreiben vom 10. Oktober 2013 abgelehnt hatte, lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Übernahme der ungedeckten Heimkosten mit Bescheid vom 13. Dezember 2013 ab. Die Antragstellerin bilde mit ihrem Ehemann eine Bedarfsgemeinschaft gemäß § 19 Abs. 3 SGB XII. Das Grundstück E., Clausthal-Zellerfeld stelle kein gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII geschütztes Vermögen dar. Das Haus habe eine Wohnfläche von 182 m² und überschreite damit die Angemessenheitsgrenze. Auch eine darlehensweise Gewährung der Sozialhilfe gemäß § 91 SGB XII komme nicht in Betracht, weil der Ehemann der Antragstellerin die Eintragung einer Grundschuld verweigert habe. Den hiergegen erhobenen Widerspruch der Antragstellerin wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 2014 zurück. Hierzu ist zwischen den Beteiligten ein Klageverfahren beim Sozialgericht (SG) Hannover anhängig (S 4 SO 275/14).

Die Antragstellerin machte am 23. Januar 2014 beim SG Braunschweig im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Übernahme der ungedeckten Heimkosten für die Zeit ab dem 24. Mai 2013 gegenüber dem Antragsgegner geltend. Das SG Braunschweig erklärte sich für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das SG Hannover (Beschluss vom 5. Februar 2014). Die Antragstellerin führte zur Begründung aus, dass sie mit ihrem Ehemann keine Einstandsgemeinschaft gemäß § 19 Abs. 3 SGB XII bilde, da sie inzwischen von ihrem Ehemann getrennt lebe. Sie legte eine eidesstattliche Versicherung ihres Ehemannes vom 13. März 2014 (versehentlich auf den 13. Februar 2014 datiert) vor, der darin erklärte, er habe die Antragstellerin zuletzt am 19. Februar 2014 ...

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