Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Nichtvorliegen einer aufsichtsrechtlich relevanten Rechtsverletzung. Krankenkasse. öffentlicher Auftraggeber. Verstoß gegen haushaltsrechtliche Ausschreibungspflicht. keine umgehende Kündigung des unter diesem Verstoß geschlossenen Vertrages

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine aufsichtsrechtlich relevante Rechtsverletzung liegt nicht vor, wenn zum Zeitpunkt des Handelns des Versicherungsträgers diesem eine eindeutige Rechtslage nicht entgegen stand. Spätere Rechtsentwicklungen wirken auf diesen Zeitpunkt grundsätzlich nicht zurück.

2. Die Rechtsfrage, ob gesetzliche Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts anzusehen sind, war erst durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 11.6.2009 - C-300/07 = Slg 2009, I-4779 eindeutig geklärt.

3. Der Verstoß allein gegen die haushaltsrechtliche Ausschreibungspflicht rechtfertigt nicht die aufsichtsrechtliche Anordnung, den unter diesem Verstoß geschlossenen Vertrag umgehend zu kündigen.

 

Tenor

Es wird festgestellt, dass der Verfügungssatz 1 des Bescheides der Beklagten vom 14. März 2011 rechtswidrig war. Der Verfügungssatz 2 dieses Bescheides wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit ist die Rechtmäßigkeit eines aufsichtsrechtlichen Verpflichtungsbescheides.

Die klagende SECURVITA BKK ist eine bundesunmittelbare und für Betriebsfremde geöffnete Betriebskrankenkasse mit Sitz in H.. Sie geht als Betriebskrankenkasse zurück auf die S. Gesellschaft zur Entwicklung alternativer Versicherungskonzepte mbH (im Folgenden: S. GmbH), die Teil der 1984 von Herrn T.M. gegründeten Unternehmensgruppe S. Holding AG ist. Die S. GmbH, deren Alleingesellschafter und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer T.M. war und ist, ist das Satzungs- bzw. Trägerunternehmen der 1996 gegründeten Klägerin, deren Verwaltungsratsvorsitzender T.M. auch war und ist. Mit der S. GmbH schloss die Klägerin eine Reihe von Verträge; fünf davon sind Streitgegenstand in den Senatsverfahren L 1 KR 47/11 KL bis L 1 KR 51/11 KL.

Im Jahr 1994 meldete T.M. das Zeichen “S.„, im Jahr 1997 die S. GmbH die - graphisch veränderte - Marke “S.„ und im Jahr 2002 die S. GmbH die - erneut graphisch veränderte - Marke “S.„ beim Deutschen Patentamt an und wurden Zeichen und Marken jeweils eingetragen. Mit Schreiben vom 17. Dezember 1996 erklärte T.M. als Geschäftsführer der S. GmbH und der S. Versicherungsmakler GmbH gegenüber der Beklagten, dass die Klägerin - vereinigte SECURVITA BKK - auf Dauer und unwiderruflich das Recht zur Nutzung des Namens “S.„ erhalte.

Die Klägerin hatte am 3. Mai 1999 mit der S. GmbH einen Vertrag über die Übernahme der reaktiven und aktiven Pressearbeit für die Klägerin durch die S. GmbH geschlossen.

Am 31. März 2000 schloss die Klägerin mit der S. GmbH einen Vertrag über die Übernahme der Aufgaben der Pressearbeit sowie der Marketing- und Öffentlichkeitsarbeit für die Klägerin durch die S. GmbH (im Folgenden: Vertrag “Pressearbeit„), der den Vertrag vom 3. Mai 1999 ersetzte. Nach Ziffer 3 des Vertrags galt dieser zunächst befristet bis zum 31. Dezember 2000 und es verlängerte sich danach sowie nach seinen Nachträgen die Vertragslaufzeit um ein weiteres Jahr, wenn der Vertrag nicht bis zum 30. September des Vorjahres gekündigt wurde.

Als Vergütung war zunächst ein monatlicher Pauschalbetrag von 11.000 DM ohne Umsatzsteuer vereinbart worden; zuletzt betrug dieser 7.900 EUR. Nach Angaben der Klägerin wandte sie im Jahr 2010 einen Betrag in Höhe von 113.523 EUR und im Jahr 2011 in Höhe von 113.671,93 EUR für die Durchführung dieses Vertrags auf; für das Jahr 2012 seien 114.000 EUR geplant.

Anlässlich einer Aufsichtsprüfung der Beklagten bei der Klägerin im Juli 2010 trat diese auch in die Prüfung ein, ob jene durch das Outsourcing des Pressebereichs an die S. GmbH die gesetzlichen Anforderungen des § 197b des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) erfüllt habe. Mit Schreiben vom 25. August 2010 teilte sie der Klägerin mit, dass sie Teile des Vertrags wegen des Outsourcing auch von Kernaufgaben für rechtswidrig und änderungsbedürftig halte und bat um Stellungnahme. Die Klägerin antwortete mit Schreiben vom 20. September 2010 und wies detailliert auf die verbreitete Praxis von Krankenkassen hin, Dritte mit Öffentlichkeitsaufgaben zu beauftragen. Die Beklagte beschränkte daraufhin ihre Prüfung insoweit - unbeschadet der mittlerweile auch aufgenommenen vergaberechtlichen Prüfung - auf die der Wirtschaftlichkeit.

Im Rahmen der Aufsichtsprüfung wandte die Beklagte sich dann der Frage zu, inwieweit - in diesem und in anderen Fällen - bei der Auftragsvergabe durch die Klägerin an die S. GmbH den vergaberechtlichen Bestimmungen entsprochen wurde. Diese Prüfung endete mit der Feststellung einer Rechtsverletzung durch Verstoß gegen das Vergaberecht und mündete in die Einleitung aufsichtsrechtlicher Maßnahmen nach § 89 Abs. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) hinsi...

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