Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Leistungspflicht für eine Auslandskrankenbehandlung

 

Orientierungssatz

1. Solange sich der Versicherte im Ausland aufhält, ruht der Anspruch auf Leistungen aus der deutschen Krankenversicherung. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur außerhalb des Geltungsbereichs des EU-/EWR-Raumes möglich, so kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung übernehmen.

2. Die Krankenkasse darf die Kosten nur dann übernehmen, wenn für die Behandlungsmethode im Inland bzw im EU-/EWR-Raum überhaupt keine andere Behandlungsmethode zur Verfügung steht, die dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse genügt.

3. Die Voraussetzungen einer notwendigen Auslandskrankenbehandlung iS des § 18 Abs 1 SGB 5 sind auch dann erfüllt, wenn ein außergewöhnlicher Fall vorliegt, auf den die in Deutschland und im EU-/EWR-Raum angebotenen Methoden keine ausreichende therapeutische Wirkung haben.

4. Hierzu müssen über Qualität und Wirksamkeit der Methode zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen vorliegen.

5. Solche wissenschaftlich anerkannten Studien gibt es zur Wirksamkeit der am Toten Meer in Jordanien zur Behandlung der Hautkrankheit Vitiligo durchgeführten Klimaheiltherapie nicht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 06.03.2012; Aktenzeichen B 1 KR 18/11 R)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 23. April 2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten einer im Jahr 2008 am Toten Meer in Jordanien durchgeführten Klimaheiltherapie.

Die 1940 geborene Klägerin ist pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Sie leidet seit 1980 an einer Vitiligo, die seit Anfang der Neunzigerjahre generalisiert mir rascher Progredienz zu einer großflächigen Depigmentierung der Haut führte. In den Jahren 1995 und 2005 führte die Klägerin jeweils auf Kosten der Beklagten Klimaheiltherapien am Toten Meer durch. In den Jahren 2006 und 2007 führte sie diese Therapiemaßnahmen auf eigene Kosten durch, wobei deren Erstattung durch die Beklagte Gegenstand des Verfahrens L 1 KR 54/08 ist.

Im März 2008 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung einer Klimaheiltherapie am Toten Meer in Jordanien vom 4. bis 18. Mai 2008 als stationäre Leistung zur Rehabilitation. Die Maßnahme wird von der in Großbritannien und G. (Deutschland) praktizierenden Dermatologin Prof. Dr. med. K. S. durchgeführt, die hierfür regelmäßig mit einer größeren Gruppe von Patienten in das "Dead Sea M. C./Dead Sea S1 Hotel" fährt. Die Therapie besteht im Wesentlichen aus einer Kombination von topischer Substitutionstherapie mit einer von Prof. Dr. S. selbst entwickelten und nur über sie direkt beziehbaren Pseudokatalase-Creme (PC-KUS) und regelmäßigen Bädern im Toten Meer mit anschließenden Sonnenlichtexpositionen.

Die Beklagte holte zwei sozialmedizinische Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Nord (MDK) vom 24. April 2008 und 12. Juni 2008 ein, in denen dieser ausführte, dass die medizinischen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nicht erfüllt seien, weil es an einem interdisziplinären multimodalen Therapieansatz fehle und die Maßnahme daher nicht mit den aktuellen Richtlinien zur Rehabilitation vereinbar sei. Darüber hinaus beruhe der Wirksamkeitsnachweis auf einem niedrigen Evidenzniveau.

Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag mit Bescheid vom 2. Juli 2008 ab, nachdem die Klägerin die Maßnahme auf eigene Kosten durchgeführt hatte. Ihren hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte nach Einholung eines weiteren sozialmedizinischen Gutachtens vom 5. Dezember 2008, in dem der MDK an seinen Vorgutachten festhielt, durch Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2009 zurück. Hiergegen hat die Klägerin am 10. Februar 2009 Klage erhoben und vorgetragen, sie habe vor Antritt der Maßnahme bei der Beklagten angerufen und von deren Mitarbeiter Herrn P. die Auskunft erhalten, dass sie ruhig fahren könne und durch die Verfahrensdauer keine Nachteile haben werde. Nur die streitige Behandlungsmaßnahme habe bei der Klägerin zum Erfolg geführt, wogegen alle ambulanten Behandlungen in Deutschland keine Besserung gebracht hätten.

Das Sozialgericht hat die Klage nach entsprechender Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid vom 23. April 2009 - dem Bevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 29. April 2009 - abgewiesen. In den Gründen heißt es, der Anspruch scheitere unabhängig von den Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 in Verbindung mit § 40 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) daran, dass sich die Klägerin mangels eines auf sie als einzelne Patientin abgestimmten Behandlungsplans mit einem komplexen interdisziplinären Ansatz nicht in einer Rehabilitationseinrichtung im Sinne der §§ 40, 107 SGB V befunden habe. Dass die klimatischen Verhältni...

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