Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. stationäre Pflege. Vermögenseinsatz. Einsatzgemeinschaft. nicht getrennt lebender Ehegatte. Verweigerung des Einsatzes verschiedener Kapitallebensversicherungen. Fehlen bereiter Mittel. Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers. Kostenersatzanspruch nach § 103 Abs 1 SGB 12 oder Aufwendungsersatzanspruch nach § 19 Abs 5 SGB 12

 

Leitsatz (amtlich)

1. Dem Ehemann der Hilfeempfängerin zustehende Kapitallebensversicherungen sind grundsätzlich verwertbares Vermögen iS des § 90 Abs 1 SGB XII, da hierzu auch die aus der vertraglichen Beziehung zum Versicherungsunternehmen resultierenden Rückabwicklungsansprüche nach Auflösung der Lebensversicherungsverträge durch eine Kündigung gehören (vgl BSG vom 25.8.2011 - B 8 SO 19/10 R).

2. Vermögen ist nicht zu berücksichtigen, wenn es zum Zeitpunkt des Sozialhilfebedarfs aufgrund einer Willensentscheidung des zur Verwertung Verpflichteten nicht als "bereites Mittel" zur Verfügung steht, weil der Vermögensinhaber während des gesamten Bedarfszeitraumes ernsthaft nicht bereit war, seine Vermögensansprüche zu realisieren und nach Auszahlung der ihm zustehenden Versicherungssummen die zur Verfügung stehenden Beträge zur Minderung oder Beseitigung des Hilfebedarfs der Hilfeempfängerin einzusetzen (vgl hierzu bereits BVerwG vom 15.12.1977 - V C 35.77 = BVerwGE 55, 148 = juris RdNr 12 ff und vom 26.2.1999 - 5 B 137/98 = FEVS 49, 433 = juris RdNr 3 sowie BSG vom 6.12.2018 - B 8 SO 2/17 R - zur Veröffentlichung vorgesehen). In diesem Fall sind Leistungen der Sozialhilfe ohne Berücksichtigung eines vorhandenen und verwertbaren Vermögens - hier der Lebensversicherungen des Ehemanns der Klägerin - zu gewähren (sog "Tatsächlichkeitsprinzip", vgl BSG vom 6.12.2018 - B 8 SO 2/17 R aaO und LSG Stuttgart vom 27.6.2016 - L 2 SO 1273/16 = ZFSH/SGB 2017, 36).

3. Dem Sozialhilfeträger bleibt allerdings die Möglichkeit, nach erfolgter Leistungserbringung, gemäß § 103 Abs 1 SGB XII einen Kostenerstattungsanspruch gegen den zur Verwertung Verpflichteten und/oder einen Aufwendungsersatzanspruch gemäß § 19 Abs 5 SGB XII geltend zu machen (vgl BSG vom 6.12.2018 - B 8 SO 2/17 R aaO).

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 29.03.2018 abgeändert und im Hauptausspruch des Tenors wie folgt neu gefasst:

“Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 19.02.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.03.2016 in der Fassung des Bescheides vom 14.03.2017 verurteilt, der Klägerin die monatlichen ungedeckten Heimkosten für ihre Heimunterbringung in der Einrichtung der Beigeladenen Seniorenresidenz A. S. in A-Stadt für den Zeitraum vom 01.12.2015 bis 31.12.2016 zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.„

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin des Klage- und Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Übernahme ungedeckter Heimkosten für die stationäre Pflege der Klägerin für die Zeit vom 01.12.2015 bis 31.12.2016 im Pflegeheim der Beklagten in Höhe von insgesamt 25.324,83 Euro.

Die 1954 geborene und unter Betreuung stehende Klägerin hatte kein Einkommen und war vermögenslos. Sie bewohnte mit ihrem am ...1959 geborenen Ehemann F. R. A. bis zu ihrer stationären Behandlung im August 2015 eine Mietwohnung im Haus der Schwiegermutter. Sie zahlten eine monatliche Warmmiete von 600,-- Euro. Bei der vom 19.08. bis 03.11.2015 erfolgten stationären Behandlung wurden bei der Klägerin folgende Diagnosen festgestellt:

- Paranoide Schizophrenie mit Residuum

- Zustand nach Suizidversuch durch Tabletten und Alkohol

- Psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol; Abhängigkeit

- Hypothyreose bei Hashimoto-Thyreoiditis

- COPD

- Steatosis hepatis III

- Arterielle Hypertonie

- Adipositas.

In dem hierüber erstellten ärztlichen Attest vom 28.10.2015 wurde eine Versorgung in einer vollstationären Pflegeeinrichtung/Pflegeheim empfohlen. Nach dem am 18.09.2015 erstellten Pflegegutachten bestand bei der Klägerin ab 03.11.2015 die Pflegestufe 0 mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz. Ab 01.08.2016 lag die Pflegestufe I (Pflegegutachten vom 02.09.2016) und eine Einschränkung der Alltagskompetenz vor. Ab 01.01.2017 wurde ihr der Pflegegrad 3 zugeordnet.

Am 28.09.2015 beantragte die Klägerin die Gewährung von Leistungen der Hilfe zur Pflege zur beabsichtigten Aufnahme in einer stationären Pflegeeinrichtung, die am 03.11.2015 im Pflegeheim der Beigeladenen, zunächst in Kurzzeitpflege (Wohn- und Betreuungsvertrag vom 03.11.2015) und ab 01.12.2015 auf unbestimmte Zeit (Vereinbarung über eine Vertragsverlängerung vom 14.12.2015), erfolgte. In dem Heimvertrag wurden als tägliche Kosten insgesamt 70,49 Euro bei der Pflegestufe 0 (Unterkunft und Verpflegung 25,36 Euro; betriebsnotwendige Investitionskosten 17,14 Euro; 24,- Euro für Pflegestufe 0 und 47,88 Euro für Pflegestufe I; Betrag zur Fin...

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