Entscheidungsstichwort (Thema)

Prüfbescheid. Insolvenzforderung. Vorrang des Insolvenzverfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Leistungs-/Zahlungsbescheid des prüfenden Rentenversicherungsträgers nach § 28p S. 5 SGB IV über rückständige Gesamtsozialversicherungsbeiträge, die als Insolvenzforderungen anzumelden sind, kann gegenüber dem Insolvenzverwalter ergehen.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Mai 2021 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, für welche diese jeweils selbst aufzukommen haben.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit steht ein Prüfbescheid der Beklagten. Der Sache nach geht es um die Rechtsfrage, ob die Beklagte nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Nachforderungen von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für die Zeit vor der Eröffnung, die Insolvenzforderungen darstellen, durch einen solchen Prüfbescheid festsetzen darf.

Das Amtsgericht Charlottenburg in Berlin eröffnete mit Beschluss vom 09. Mai 2019 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der AGmbH und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Das Insolvenzverfahren dauert an.

Auf Bitten mehrerer Einzugsstellen nach § 28p Abs. 1 S. 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) führte die Beklagte daraufhin eine sogenannte Ad hoc-Prüfung bei der A GmbH für den Prüfzeitraum vom 01. Juli 2017 bis zum 08. Mai 2019 durch.

Nach einer Abschlussbesprechung bestimmte sie mit Bescheid vom 30. September 2019 gegenüber dem Kläger, dass die sich aus der Prüfung ergebenden Insolvenzforderungen 14.492,96 € betragen. Die Insolvenzforderungen würden im Rahmen des Insolvenzverfahrens nach § 38 Insolvenzordnung (InsO) von den zuständigen Krankenkassen als Einzugsstellen geltend gemacht. Zur Begründung führte sie u. a. aus, als Rentenversicherungsträger im Rahmen einer Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 S. 3 SGB IV anlässlich eines eröffneten Insolvenzverfahrens befugt zu sein, Nachforderungsbescheide zu erlassen (Bezugnahme auf Urteil des Bundessozialgerichts - BSG vom 28. Mai 2015 - B 12 R 16/13 R). Im Bereich der Sozialversicherung existiere ein zweigeteiltes Verfahren, welches dazu führe, dass selbst ein insolvenzrechtliches Vollstreckungsverbot die Befugnis des Rentenversicherungsträgers nicht einschränke, einen solchen Verwaltungsakt zu erlassen. Dem Verwaltungsakt nach § 28p Abs. 1 S. 5 SGB V komme aber nur der Charakter eines Grundlagenbescheides zu, weil die Arbeitgeberprüfung keine über die bloße Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung entfalte. Vorliegend sei die letzte Lohn- und Beitragsrechnung für den Monat April 2019 durchgeführt worden. Es fehlten aufgrund der Insolvenz die Beitragsnachweise für die Zeit ab 1. Mai 2019. Ferner seien für eine Arbeitnehmerin für den Beschäftigungszeitraum vom 01. September 2018 bis 08. Mai 2019 bisher keine Beiträge nachgewiesen. Der Bescheid enthielt ferner den Hinweis, dass er Beiträge als Insolvenzforderungen nach § 38 InsO feststelle, die nach §§ 187 ff. InsO zu befriedigen seien. Die Insolvenzforderungen würden von den zuständigen Einzugsstellen nach § 175 InsO gemeldet. Eine Zahlungsaufforderung sei damit nicht verbunden. Diese Prüffeststellung sei im Rahmen einer Schlussbesprechung einer Mitarbeiterin der vom Kläger beauftragten Abrechnungsstelle vorgetragen worden. Die Schlussbesprechung gelte als Anhörung nach § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).

Der Kläger erhob Widerspruch: Die Beklagte dürfe die geltend gemachten Forderungen nicht durch Verwaltungsakt festsetzen. Die von der Beklagten angeführte Entscheidung des BSG betreffe Masseverbindlichkeiten. Vorliegend würden jedoch lediglich Beiträge für die Zeit bis zur Insolvenzeröffnung gefordert, also Insolvenzforderungen. Für solche sähen §§ 174 ff. InsO ein formelles Prüfverfahren vor. Das Prüfrecht der übrigen Gläubiger und das formalisierte Prüfverfahren würde unterlaufen, hielte man Grundlagenbescheide der Prüfbehörde für zulässig. Jeglicher Einwand eines Insolvenzgläubigers gegen die entsprechende Tabellenanmeldung wäre obsolet, wenn außerhalb des insolvenzgerichtlichen Prüfverfahrens eine rechtskräftige Regelung zu Beitragsrückständen erfolgt sei.

Eine Beteiligung der betroffenen (ehemaligen) Arbeitnehmer der A GmbH oder dieser selbst erfolgte im Ausgangs- oder Widerspruchsverfahren nicht.

Am 21. Februar 2020 hat der Kläger (Untätigkeits-) Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben.

Die Beklagte hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2020 zurückgewiesen und zu dessen Begründung ergänzend ausgeführt, anders als in der Finanzverwaltung, bei der das prüfende Finanzamt als Prüfinstitution und als Gläubiger auftrete, seien die Rentenversicherungsträger zwar Prüfinstitution, jedoch nicht Gläubiger des Gesamtsozialversicherungsbeitrages. Sie prüften das „Beitrags-Soll“ und stellten es durch Bescheid ohne Zahlungsaufforderung fest. Für letztere seien die Einzugsstellen zuständig. Aus der bereit...

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