Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Genehmigungsfiktion. hereditäres Angioödem. Behandlung in einer speziellen Privatklinik. Wirksamkeit einer fiktiven Genehmigung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine fiktive Genehmigung nach § 13 Abs 3a S 6 SGB V eines Antrages auf Kostenübernahme einer Behandlung, die von vornherein nur in einer speziellen Privatklinik erfolgen soll, ist nicht in jedem Fall ausgeschlossen, weil das Begehren offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung liegt.

 

Orientierungssatz

Auch eine fingierte Genehmigung bleibt wie jeder Verwaltungsakt nach § 39 Abs 2 SGB 10 wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder sich durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt.

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit ist die Verpflichtung der Beklagten, die Kosten für eine geschlechtsangleichende Operation in einer Privatklinik zu übernehmen.

Bei dem 1992 geborenen Kläger ist eine Frau-zu-Mann-Transsexualität (F 64.0) diagnostiziert. Er leidet an einem hereditären Angioödem aufgrund C1-Esterase-Inhibitor-(C1-INH)-Mangel, einer sehr seltenen angeborenen Gesundheitsstörung, die auch als Quincke-Ödem bezeichnet wird. Diese führt zu episodisch auftretenden Ödemen im Bereich der Schleimhäute und der Haut, die bei Operationen zu schweren Komplikationen führen können.

Unter Bezugnahme auf diesen Umstand beantragte der Kläger am 8. März 2016 „in einer Einzelfallentscheidung“ die Übernahme für die operative Geschlechtsanpassung Frau-zu-Mann. Die Erkrankung an den Quincke-Ödemen benötigte eine besondere Intensivüberwachung, welche in der Klinik SP gewährleistet sei. Außerdem biete das Team die wohl größte Erfahrung von mehr als 720 Eingriffen von Frau zum Mann, ein sehr geringes Komplikationsrisiko im Vergleich zu anderen Kliniken und das bestmögliche funktionelle/ästhetische Ergebnis. Hinzu komme, dass in dieser Klinik die Entfernung der Eierstöcke, der Eileiter und der Gebärmutter sowie die Entfernung der Scheide und der Aufbau des Penoids in nur einer statt zwei Operation erfolgten. Der Kläger fügte zwei Kostenvoranschläge der Klinik, aus denen sich die angedachten Maßnahmen im Einzelnen ergeben, sowie weitere Unterlagen aus dem Verfahren auf Vornamensänderung und auf Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit nach dem Transsexuellengesetz bei.

Mit Schreiben vom 19. April 2016 teilte der Kläger der Beklagten mit, die Frist nach § 13 Abs. 3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sei nunmehr abgelaufen. Der Antrag gelte als genehmigt.

Die Beklagte lehnte (daraufhin) mit Bescheid vom 21. April 2016 die Kostenübernahme für eine stationäre Behandlung in der Privatklinik S in P ab. Die geplante Behandlung sei in mehreren Vertragskrankenhäusern in Deutschland möglich, so dass eine Kostenübernahme für eine Privatbehandlung nicht erfolgen dürfe. Ein Anspruch bestünde auch nicht aus § 13 Abs. 3a SGB V, da die Behandlung nicht von einem zugelassenen Leistungserbringer durchgeführt werden solle bzw. nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehöre.

Gleichzeitig beauftragte die Beklagte den medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e.V. (MDK), der in seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 25. April 2016 zu dem Ergebnis gelangte, dass die medizinischen Voraussetzungen für die beantragten Leistungen erfüllt seien. Bei manifestem Transsexualismus Frau-zu-Mann seien die sozialmedizinischen Voraussetzungen für eine operative Geschlechtsangleichung der Genitalregion und einer Mastektomie beidseits in einem Vertragskrankenhaus gegeben.

Die Beklagte teilte daraufhin mit Bescheid vom 27. April 2016 mit, die Kosten für die geplante Mastektomie zur vertraglich vereinbarten Vergütung im V Klinikum A zu übernehmen sowie für die beantragte genitalangleichenden operativen Maßnahmen die Kosten zur vertraglich vereinbarten Vergütung in einem Vertragskrankenhaus zu übernehmen. Sie verbleibe aber bei der Ablehnung vom 21. April 2016, keine Kosten für die Klinik S zu übernehmen.

Der Kläger erhob gegen den Ablehnungsbescheid am 18. Mai 2016 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2016 zurückwies. Zur Begründung führte sie ergänzend aus, die Krankenkassen würden eine bedarfsgerechte Versorgung aller notwendigen Maßnahmen schulden. Notwendig seien die Maßnahmen, die zur Erreichung des Behandlungsziels zur Linderung der Krankheitsbeschwerden unentbehrlich oder unvermeidlich seien. Die Krankenkassen schuldeten lediglich eine bedarfsgerechte und gleichmäßige Versorgung unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der medizinischen Wissenschaft und Technik. Sie hätten die Leistungen zu gewähren, die zur Heilung und Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig und ausreichend seien. Die beim Kläger geplanten Operationen könnten in einem zu...

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