Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Kostengrundverfahrens. Erledigung des Rechtsstreits. Nebenverfahren. Gerichtliche Inaktivität. Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer

 

Orientierungssatz

1. Nach § 198 Abs. 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Ob ein Verfahren als überlang anzusehen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

2. Ob eine entschädigungsrelevante Verzögerung zu bejahen ist, entscheidet sich in einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der in § 198 Abs. 1 S. 2 GVG benannten Kriterien. Regelmäßig gilt für ein Klageverfahren eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu zwölf Monaten je Instanz als angemessen.

3. Für ein Verfahren über eine Kostengrundentscheidung gilt eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von lediglich sechs Monaten als angemessen.

4. Verbleibt für das Kostenverfahren nach Abzug von sechs Monaten eine entschädigungsrelevante Verzögerung von 22 Monaten, so kann gleichwohl eine Entschädigung unterbleiben, wenn die geltend gemachten Kosten durch eine bestehende Rechtsschutzversicherung bereits ausgeglichen sind.

 

Normenkette

GVG § 198 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2 S. 2, Abs. 6 Nr. 1; SGG § 193 Abs. 1 S. 3, § 202 S. 2; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3; EMRK Art. 6 Abs. 1

 

Tenor

Die unangemessene Dauer des beim Sozialgericht Cottbus unter dem Aktenzeichen S 18 KR 26/11 geführten Verfahrens zur Herbeiführung einer Kostengrundentscheidung wird festgestellt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu 1/3 und der Beklagte zu 2/3 zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 2.500,00 Euro wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Cottbus (SG) unter den Aktenzeichen S 18 KR 103/08 und S 18 KR 26/11 geführten Verfahrens. Er rügt die Dauer des Verfahrens im Hinblick auf die nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache zu treffende Kostenentscheidung.

Dem beendeten Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger erhielt im Februar 2008 eine kapitalbildende Lebensversicherung ausgezahlt. Diesen Betrag werteten die DAK Unternehmen Leben Krankenversicherung und die Pflegekasse (Beklagte des Ausgangsverfahrens, im folgenden DAK) als Versorgungsbezug und erhoben hierauf mit Bescheiden jeweils vom 25. Januar 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. April 2008 Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Hiergegen wandte der Kläger sich mit seiner am 9. Mai 2008 beim SG erhobenen und zunächst unter dem Aktenzeichen S 18 KR 103/08 geführten Klage. Das SG leitete die Klage am 22. Mai 2008 an die DAK zur Kenntnisnahme weiter, verbunden mit dem Hinweis an die Beteiligten, dass das Bundessozialgericht zu dieser Frage zwar bereits Entscheidungen getroffen habe, aber zahlreiche weitere gleich gelagerte Revisionsverfahren bei dem Bundessozialgericht anhängig seien, sowie der Anfrage, ob dem Ruhen des Verfahrens zugestimmt werde, um hierzu Entscheidungen des Bundessozialgerichts abzuwarten. Die Klageerwiderung, in welcher die DAK auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. April 2008 verwies, ging am 29. Mai 2008 beim SG ein. Mit am 2. Juni 2008 beim SG eingegangenem Schreiben bat der Kläger darum, den Rechtsstreit gemäß Art. 100 Grundgesetz (GG) dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen und stimmte vorsorglich dem Vorschlag des SG folgend auch dem Ruhen des Verfahrens zu. Die Schriftsätze der Beteiligten leitete das SG jeweils wechselseitig am 13. Juni 2008 weiter, beim Kläger verbunden mit der Anfrage, ob die Klage zurückgenommen werde. Der Kläger vertrat daraufhin die Auffassung, dass die von der DAK benannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht einschlägig sei. Nach Weiterleitung dieses Schreibens an die DAK stimmte diese am 11. Juli 2008 dem Ruhen des Verfahrens zu. Das SG erließ daraufhin am 17. Juli 2008 einen Ruhensbeschluss, den es auf § 251 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) stützte. Ab Februar 2009 betrachtete des SG das Verfahren als statistisch erledigt.

Der Kläger beantragte mit seinem am 24. Januar 2011 eingegangenen Schriftsatz die Fortsetzung des Verfahrens. Er wies darauf hin, dass sich die Klage auf Grund der vom Bundesverfassungsgericht am 28. September 2010 in einem gleich gelagerten Musterverfahren getroffenen Entscheidung als begründet erweise. Am 8. Februar 2011 verfügte der Vorsitzende die Fortsetzung des Verfahrens und die Vergabe eines neuen Aktenzeichens (S 18 KR 26/11) sowie die Wiedervorlage nach sechs Wochen. Am 23. Februar 2011 ging die Stellungnahme der DAK hierzu ein, wonach eine Prüfung der streitgegenständlichen Bescheide in Betracht komme und mit der vom Kläger ergänzende Unterla...

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