Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Kostenentscheidung. vollmachtsloser Vertreter. Kostentragungspflicht. versteckte Missbrauchsgebühr

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im sozialgerichtlichen Verfahren besteht keine Veranlassung, dem vollmachtslosen Prozessbevollmächtigten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, da der Kläger anders als zB in der Zivil- oder Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht mit Kosten des Verfahrens belastet werden kann. Er bedarf des Schutzes, den die Möglichkeit der Kostenentscheidung zulasten des vollmachtslosen Vertreters vermittelt, in der Sozialgerichtsbarkeit nicht.

2. Die Belastung des vollmachtlosen Prozessbevollmächtigten mit den Kosten des Verfahrens stellt daher eine "versteckte Missbrauchsgebühr" dar, für die die Rechtsgrundlage fehlt.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 12.02.2020; Aktenzeichen B 4 AS 8/20 B)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 07. Oktober 2015 aufgehoben, soweit das Sozialgericht die Kosten des Verfahrens dem Rechtsanwalt L auferlegt hat.

Im Übrigen wird die Berufung verworfen.

Kosten des Verfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen einen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus, mit dem dieses eine Untätigkeitsklage abgewiesen und die Kosten dem Rechtsanwalt des Klägers auferlegt hat.

Am 10. Juni 2015 erhob der Kläger vertreten durch seinen Rechtsanwalt L Untätigkeitsklage vor dem Sozialgericht Cottbus und beantragte, den Beklagten zu verurteilen, auf seinen Antrag vom 9. Dezember 2014 betreffend die Überprüfung des Bescheides vom 15. April 2014 eine Entscheidung zu treffen.

Mit Schreiben vom 26. Juni 2015 forderte das Sozialgericht Cottbus den Anwalt auf, eine konkret für das vorliegende Verfahren erteilte Vollmacht des Klägers im Original zur Gerichtsakte zu reichen. Die Vorlage der Vollmacht im Original sei aus den nachstehenden Gründen erforderlich. Dem Gericht seien zahlreiche Verfahren bekannt, in denen trotz Vorlage einer „Generalvollmacht“ die Kläger erklärt hätten, das Mandat vor der Klageerhebung beendet und/oder über die Erhebung von Klagen keine Kenntnis gehabt zu haben. Teilweise sei erklärt worden, die Klagen stünden nicht mit dem Willen der Kläger im Einklang. Zudem seien wiederholt durch die Kläger persönlich sämtliche Klagen zurückgenommen worden. Als Beispiele wurden im Anschluss 20 erstinstanzliche und 6 zweitinstanzliche Verfahren genannt. Weiter wurde ausgeführt, wegen der Vielzahl der - exemplarisch - aufgeführten Verfahren habe das Gericht begründete Zweifel daran, dass sich der jeweilige Kläger bei der Unterzeichnung der „Generalvollmacht“ über deren Rechtswirkungen und die nachfolgenden oftmals zahlreichen Klageerhebungen - und damit einhergehend des jeweiligen Kostenrisikos bewusst gewesen bzw. diesbezüglich aufgeklärt worden sei. Das Gericht sehe deshalb in der „Generalvollmacht“ vorliegend keinen hinreichenden Nachweis der Bevollmächtigung mehr und habe derzeit Zweifel daran, dass die Klageerhebung mit Wissen und Wollen der Klägerseite erfolgt sei. In einem solchen Fall dürfe das Gericht auch von Amts wegen die Vorlage einer weitergehenden Vollmacht verlangen (vergleiche LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2015, L 20 AS 2202/14 B, zitiert nach juris; dem folgend: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. März 2015, L 29 AS 220/15 NZB; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Kommentar, 11. Aufl., § 73 Rn. 68; Arndt, in: Breitkreuz/Fichte, SGG Kommentar, 2. Aufl., § 73 Rn. 61).

Mit Schreiben vom 24. Juli 2015 rügte der Beklagte die fehlende Vorlage einer aktuellen Prozessvollmacht im Original.

Mit Schreiben vom 29. Juli 2015 sind der Kläger bzw. sein Bevollmächtigter darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt sei, durch Gerichtsbescheid (§ 105 Sozialgerichtsgesetz - SGG) zu entscheiden. Weiter wurde daraufhin gewiesen, dass bei Nichtvorlage der angeforderten Vollmacht beabsichtigt sei, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers als vollmachtlosem Vertreter die Kosten des erledigten Verfahrens gemäß § 197 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 161 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) aufzuerlegen, da er nicht zum kostenprivilegierten Personenkreis des § 183 SGG gehöre (vergleiche Sächsisches LSG, Beschluss vom 26. Juni 2014, L 3 AS 318/12 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Dezember 2013, L 29 AL 88/13). Ferner sei beabsichtigt, den Streitwert des bei Nichtvorlage der Vollmacht gerichtskostenpflichtigen Verfahrens gemäß § 197 Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG) festzusetzen. Der Festsetzung dürfte der Betrag des Gebühreninteresses zugrundezulegen sein. Erwogen werde insoweit den Streitwert auf den Betrag von bis zu 500,00 € festzusetzen (vergleiche § 34 Abs. 1 Satz 1 GKG). Es wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Mit Gerichtsbescheid vom 7. Oktober 2015, in dem der Kläger im Rubrum auch als so...

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