Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsmittelbefugnis des Unterlegenen gegen inkorrekte Entscheidung. Auftreten einer Gemeinschaftspraxis als einheitliche Rechtspersönlichkeit gegenüber Kassenärztlicher Vereinigung. Adressat für Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Klageänderung. keine Umgehung von Sachurteilsvoraussetzungen

 

Orientierungssatz

1. Ergeht eine inkorrekte Entscheidung (zB Urteil statt Beschluss), steht dem Unterlegenen sowohl das Rechtsmittel zu, das gegen die tatsächlich ergangene Entscheidung gegeben ist, als auch das, das gegen die richtigerweise zu erlassende Entscheidung gegeben wäre.

2. Gegenüber einer Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) tritt eine Gemeinschaftspraxis wie ein Einzelarzt als einheitliche Rechtspersönlichkeit gegenüber. Die Behandlung eines Patienten in einem Quartal durch verschiedene Mitglieder der Gemeinschaftspraxis stellt sich als ein Behandlungsfall dar. Ansprüche einer KÄV im Zusammenhang mit Honorarrückforderungen oder Honorarberichtigungen richten sich daher gegen die Gemeinschaftspraxis selbst und nicht gegen nur einzelne ihr angehörigen Ärzte.

3. Dies gilt auch für Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung sowie für Regresse wegen unwirtschaftlicher oder unzulässiger Verordnung von Arznei- bzw Heil- und Hilfsmitteln. Nicht die Behandlungs- und Verordnungsweise des einzelnen Arztes, sondern der Gemeinschaftspraxis als Ganzes ist Gegenstand der Prüfung durch die Prüfgremien gemäß § 106 SGB 5.

4. Durch eine Klageänderung können keine Sachurteilsvoraussetzungen umgangen werden.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 09.02.2011; Aktenzeichen B 6 KA 5/10 R)

 

Tenor

Auf die Berufungen des Berufungsklägers und der Beigeladenen zu 2) wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. März 2006 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1), die diese selbst trägt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Regress wegen der Verordnung des zu den Immunglobulinen zählenden, intravenös (i.v.) zu verabreichenden Arzneimittels Polyglobin in den Quartalen I und III/2000.

Der Berufungskläger nimmt an der hausärztlichen Versorgung in B teil. In der Zeit vom 1. Juli 2000 bis zum 31. Dezember 2004 führte er mit Frau Dr. med. A D, einer Internistin, eine Gemeinschaftspraxis, die Beigeladene zu 2). Der Berufungskläger verordnete dem bei der Klägerin krankenversicherten Patienten JH (im Folgenden: der Versicherte) im Quartal I/2000 in sechs Fällen und ein Mitglied der Beigeladenen zu 2) im Quartal III/2000 in zwei Fällen das Arzneimittel Polyglobin 10%.

Mit am 25. Mai 2001 beim Prüfungsausschuss eingegangen Schreiben, das als Betreff die Beigeladene zu 2) nannte, stellte die BKK Berlin, eine Rechtsvorgängerin der Klägerin, einen “Antrag auf Feststellung eines sonstigen Schadens gemäß § 14 der Prüfvereinbarung vom 10.01.1994„ wegen der Verordnung von Polyglobin in den Quartalen I/2000 und III/2000. Mit an den Berufungskläger und Frau Dr. D gerichteten Bescheid vom 27. September 2001 setzte der Prüfungsausschuss “gemäß § 14 der Prüfvereinbarung„ einen “Regress für die Verordnung von Polyglobin in Höhe von insgesamt DM 22.596,95„ fest. Auf den vom Berufungskläger und Frau Dr. D gemeinsam eingelegten Widerspruch hob der Beklagte mit dem an die Beigeladene zu 2) gerichteten Bescheid vom 25. März 2003, der BKK Berlin nach eigenen Angaben am 27. Mai 2003 zugestellt, die Schadensersatzverpflichtung auf. Zur Begründung führte der Beklagte aus, Polyglobin sei indikationsgerecht verordnet worden.

Hiergegen richtete sich die am 23. Juni 2003 erhobene Klage. Die Klageschrift enthielt weder einen Klageantrag noch eine -begründung. Mit am 20. August 2003 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz hat die BKK Berlin beantragt, den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 25. März 2003 aufzuheben und eine Schadensersatzverpflichtung gegenüber dem Berufungskläger in Höhe von 11.553,64 Euro festzusetzen. Diesen Klageantrag hat sie durch ihren Schriftsatz vom 9. Dezember 2004 dahin modifiziert, dass neben der Aufhebung des Beschlusses des Beklagten eine Verpflichtung zur Neubescheidung begehrt werde. Zugleich ist in diesem Schriftsatz eine Beiladung des Berufungsklägers angeregt worden.

Der Beklagte und die vom Sozialgericht durch den Beschluss vom 20. Dezember 2004 beigeladene Gemeinschaftspraxis [die Beigeladene zu 2)], haben den angegriffenen Bescheid verteidigt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Berufungskläger erklärt, dass er zum streitgegenständlichen Zeitraum seine Praxis allein betrieben habe und dies auch nach dem Ausscheiden von Frau D zum 31. Dezember 2004 wieder tue. Dies hat die Klägerin veranlasst, die Aufhebung des Beschlusses des Beklagten vom 25. März 2003 sowie seine Verpflichtung zu beantragen, gegenüber dem Beigeladenen zu 2) eine Schadensersatzverpflichtung in Höhe von 11.553,64 € wegen der Verordnung von Polyglobin in den Q...

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