Entscheidungsstichwort (Thema)

Die Corona-Beihilfe ist nicht als Einkommen des Grundsicherungsberechtigten auf dessen Leistungen nach dem SGB 2 anzurechnen

 

Orientierungssatz

1. Die Corona-Beihilfe ist keine Betriebseinnahme i. S. von § 11 Abs. 1 S. 1 SGB 2 i. V. m. § 3 Abs. 1 S. 2 Alg2-VO. Sie stammt nicht unmittelbar aus der Erwerbstätigkeit des Grundsicherungsberechtigten, sondern wird aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften gewährt.

2. Sie wird zur Überwindung der existenzbedrohenden Wirtschaftslage bzw. des Liquiditätsengpasses im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie bewilligt. Damit bezweckt sie die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz und die Überbrückung von Liquiditätsengpässen, nicht aber die Sicherung des privaten Lebensunterhalts.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 6. Juli 2021 aufgehoben.

Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 20. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2020 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 2020 bis 30. Juni 2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung von Einkommen aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von insgesamt 1.361,50 € zu gewähren. Der Erstattungsbescheid vom 20. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2020 wird aufgehoben, soweit der darin geforderte Erstattungsbetrag den Betrag übersteigt, der sich aus der Differenz zwischen den vorläufig gewährten Leistungen und den unter Berücksichtigung eines Einkommens aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 1.361,50 € zu gewährenden Leistungen ergibt.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im gesamten Verfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anrechnung einer Corona-Beihilfe bei Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit vom 1. Januar 2020 bis 30. Juni 2020.

Der Beklagte hatte der 1966 geborenen, im Streitzeitraum selbständig tätig gewesenen Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 2020 bis 30. Juni 2020 vorläufig SGB II-Leistungen bewilligt (Bescheide vom 28. Januar 2020, 6. April 2020 und 23. April 2020; Regelleistung iHv mtl 297,34 € ≪Januar bis März 2020≫ bzw mtl 432,- € ≪April bis Juni 2020) zzgl Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung ≪KdUH≫ iHv mtl 442,84 €).

Nach Vorlage der abschließenden Anlage EKS für die beiden selbständigen Tätigkeiten vom 11. August 2020, in der die Klägerin für April 2020 als Betriebseinnahme jeweils auch 600,- € aus der im selben Monat erhaltenen Corona-Beihilfe iH eines Gesamtbetrages von 1.200,- € aus dem Programm „Soforthilfe“ der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe des Landes Berlin aufgeführt hatte (ohne diese Hilfen ergaben sich Betriebseinnahmen iHv 459,50 € ≪„Gesundheitsberatung“≫ bzw 902,- € ≪„Hauswirtschaft“≫), stellte der Beklagte die Leistungen für die Zeit vom 1. Januar 2020 bis 30. Juni 2020 endgültig fest (Bescheid vom 20. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2020). Dabei berücksichtigte er als Betriebseinnahmen auch die von der Klägerin als solche aufgeführte Coronabeihilfe und errechnete demgemäß insgesamt 2.561,50 €. Da die Betriebsausgaben iHv insgesamt 899,16 € in voller Höhe durch die erhaltene Corona-Beihilfe abgedeckt seien, seien keine Betriebsausgaben in Ansatz zu bringen und von einem mtl Gewinn aus selbständiger Tätigkeit iHv 426,91 € (2.561,50 € : 6 Monate) auszugehen. Der Beklagte setzte den mtl Leistungsbetrag auf 613,31 € fest (Regelleistung mtl 170,47 € zzgl KdUH-Leistungen iHv mtl 442,84 €). Der Differenzbetrag zu den vorläufig erbrachten höheren Leistungen iHv insgesamt 1.165,20 € sei zu erstatten (Erstattungsbescheid vom 20. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2020).

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin endgültige Leistungen ohne Anrechnung der Corona-Beihilfe als Betriebseinnahme und wendet sich zudem gegen die geltend gemachte Erstattungsforderung. Der Beklagte habe unzutreffend die Corona-Beihilfe iHv 1.200,- € als Betriebseinnahme berücksichtigt. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 6. Juli 2020).

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie verweist darauf, dass sie die im April 2020 erhaltene Corona-Beihilfe „durch 2 geteilt“ und dann jeweils als Betriebseinnahme im April 2020 aufgeführt habe. Dies hätte dem Beklagten bei der Prüfung der Belege auf auffallen müssen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 6. Juli 2020 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 20. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2020 und entsprechender Änderung des Erstattungsbescheides vom 20. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2020 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. Januar 2020 bis zu...

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