Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch einer ein Kleinkind alleinerziehenden Hilfebedürftigen auf Leistungen der Grundsicherung trotz Ortsabwesenheit

 

Orientierungssatz

1. Nach § 7 Abs. 4a SGB 2 erhält Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht, wer ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners sich außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufhält. Diese Vorgabe schränkt die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährte Handlungsfreiheit des Hilfebedürftigen ein.

2. Ziel und Zweck der Regelung ist die Sicherstellung einer effektiven Vermittlungstätigkeit durch Vermeidung von Missbrauch. Es soll die Erreichbarkeit zwecks Arbeitseingliederung gewährleistet werden.

3. Kommt im Einzelfall eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt überhaupt nicht in Betracht, so besteht auch kein Grund, die Handlungsfreiheit des Hilfebedürftigen zu begrenzen. Dies ist bei einem Hilfebedürftigen der Fall, dem eine Erwerbstätigkeit nicht zumutbar ist.

4. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB 2 ist einem Hilfebedürftigen die Ausübung einer Arbeit unzumutbar, wenn sie die Erziehung seines Kindes gefährden würde. Bei Betreuung eines Kindes unter drei Jahren durch einen Alleinerziehenden kann der Grundsicherungsträger die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht verlangen. Dies gilt erst recht, wenn sich der alleinerziehende Hilfebedürftige in Elternzeit befindet.

5. Damit fehlt es in einem solchen Fall an einem rechtfertigenden Grund dafür, den Hilfebedürftigen den Anforderungen der Erreichbarkeitsanordnung zu unterwerfen. Dies gilt auch bei einem mehrmonatigen Auslandsaufenthalt.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 04. Mai 2011 geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 30. August 2010 in der Fassung des Bescheides vom 14. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2010 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das gesamte Verfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung und Erstattung von Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 14. November 2009 bis zum 31. Januar 2010.

Die am 1971 geborene Klägerin, die die kenianische Staatsangehörigkeit besitzt, bezog seit 2007 Leistungen nach dem SGB II. Sie ist die Mutter der Kinder M W, geboren am 1991, und L N, geboren am 08. November 1996, die beide in Kenia leben. Sie hält sich zumindest seit Oktober 2002 in der Bundesrepublik auf. Zum 01. März 2008 nahm die Klägerin eine Vollzeitbeschäftigung als Pflegehelferin auf. In der Folgezeit bezog sie ergänzend Arbeitslosengeld II in Form von Kosten für Unterkunft und Heizung. Am 27. Oktober 2008 wurde ihr Sohn A geboren, der in der Folge ebenfalls Leistungen bezog. Die Klägerin beantragte bei ihrem Arbeitgeber die Gewährung von Elternzeit für 24 Monate. Mit Schreiben vom 15. Dezember 2008 bestätigte der Arbeitgeber Elternzeit für den Zeitraum vom 27. Oktober 2008 bis zum 26. Oktober 2010. Zum 01. April 2010 nahm die Klägerin die Beschäftigung in Teilzeit wieder auf. Das Arbeitsverhältnis endete durch außerordentliche Kündigung zunächst zum 21. Juni 2010, durch gerichtlichen Vergleich schließlich zum 31. Juli 2010. Die Klägerin bezog ferner in dem Zeitraum vom 27. Oktober 2008 bis zum 26. Oktober 2009 Elterngeld i. H. v. monatlich 665,98 Euro pro Monat.

Auf den Weiterbewilligungsantrag (WBA) der Klägerin vom 28. April 2009 bewilligte der Beklagte der Klägerin und dem mit ihr in Bedarfsgemeinschaft (BG) lebenden Sohn A mit Bescheid vom 27. Mai 2009 (laut Abschrift in der Akte 26. Mai 2009) in der Fassung der Bescheide vom 07. Juni 2009 (lt. Angaben des Beklagten maschineller Änderungsbescheid aufgrund Änderung der Regelsätze) und 26. April 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 01. Juni 2009 bis zum 30. November 2009. Der Bescheid vom 26./27. Mai 2009 enthielt auf Seite 4 folgende Hinweise: “Sie müssen immer unter der von Ihnen benannten Adresse erreichbar sein. Sollten Sie eine Ortsabwesenheit planen, sind Sie verpflichtet, den Zeitraum und die Dauer der Ortsabwesenheit mit Ihrem persönlichen Ansprechpartner vorab abzustimmen. Eine unerlaubte Abwesenheit kann zum Wegfall und zur Rückforderung des Arbeitslosengeldes II führen.„

Auf den WBA der Klägerin vom 20. Oktober 2009 bewilligte der Beklagte der Klägerin und dem mit ihr in Bedarfsgemeinschaft (BG) lebenden Sohn A mit Bescheid vom 18. November 2009 in der Fassung der Bescheide vom 13. Januar 2009 sowie der Bescheide vom 26. April 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 01. Dezember 2009 bis zum 31. Mai 2010. Der Bescheid vom 18. November 2009 enthielt dieselben Hinweise wie der Bescheid vom 26./27. Mai 2009.

Vom 14. November 2009 bis zum 26. Februar 2010 hielt sich die Klägerin in Kenia auf, wovon der Beklagte im Rahmen der WBA-Stellung am 26. April 2010 Kenntnis erhielt.

Unter dem 26. April 2010 forderte der Beklagte die Klägerin u. a. auf mitzuteil...

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