Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenerstattung zwischen Sozialversicherungsträgern. Verletztengeld. Krankengeld. Ursache der Arbeitsunfähigkeit. Zuständiger Leistungsträger. Auftragsverhältnis. Zeitpunkt der Geltendmachung

 

Orientierungssatz

1. Nach § 105 Abs. 1 S. 1 SGB 10 ist der zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 SGB 10 vorliegen.

2. Ist die Dauer einer insgesamt bestehenden Arbeitsunfähigkeit nur teilweise auf die Folgen eines Arbeitsunfalls zurückzuführen und hat die weitere Dauer ihre wesentliche Ursache in degenerativen Veränderungen, so ist der Träger der Unfallversicherung nur für die erstgenannte Dauer zuständig.

3. Bei dem Erstattungsverfahren handelt es sich um ein getrenntes Verfahren. Es stellt eine spezielle Regelung für den Ausgleich ungerechtfertigter Bereicherung zwischen Sozialversicherungsträgern dar.

4. Der erstattungspflichtige Leistungsträger muss hierzu in die Lage versetzt werden, sich ein Bild über Art und Umfang der in Rede stehenden Leistungen machen zu können und seine eigene Leistungszuständigkeit zu prüfen.

 

Normenkette

SGB X § 105 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 111; SGB VII § 189

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. August 2015 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ihr für die Versicherte M S erbrachtes Verletztengeld in Höhe des Krankengeldes sowie die Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 12. Juni 2007 bis zum 3. Februar 2008 dem Grunde nach zu erstatten.

Die Klägerin trägt ein Zehntel, die Beklagte neun Zehntel der Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Kostenerstattung für von ihr getragenes Verletztengeld.

Zugrunde liegt ein Verkehrsunfall der 1957 geborenen Versicherten M S (Versicherte = V), welche bei der Klägerin gesetzlich unfall- und bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert war. Die V stürzte am 7. August 2006 auf dem Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad auf die rechte Schulter.

Die Beklagte zahlte im Auftrag der Klägerin der V ein Verletztengeld von kalendertäglich 13,59 € für die Zeit vom 18. September 2006 bis zum 10. Dezember 2006 sowie vom 11. Dezember 2006 bis 31. Juli 2007, ferner vom 1. August 2007 bis 3. Februar 2008 kalendertäglich 13,71 €.

Die Beauftragung erfolgte jedenfalls für die Zeit vom 18. September 2006 bis zum 10. Dezember 2006 in Anwendung der Vorschriften der Verwaltungsvereinbarung Generalauftrag (Verwaltungsvereinbarung über das Verfahren zur Entschädigung bei Einzelaufträgen der Unfallversicherungsträger nach § 189 SGB VII i. V. m. § 88 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch [SGB X]; Generalauftrag betreffend die Erbringung von Verletztengeldzahlungen).

Für die Zeit ab danach erteilte die Klägerin der Beklagten nach dem Rechtsvortrag einen Einzelauftrag nach dieser Verwaltungsvereinbarung mit der Maßgabe, Verletztengeld weiterhin zu ihren Lasten sicherzustellen.

Konkret erteilte die Klägerin der Beklagten unter dem 7. März 2007 den Auftrag nach § 189 SGB VII, Verletztengeld von täglich 13,59 € rückwirkend ab 11. Dezember 2006 zu zahlen. Der Anspruch bestehe nach § 45 Abs. 1 SGB VII. Die Beklagte bezeichnet diesen Auftrag in einem Faxschreiben vom 5. September 2007 als “Einzelauftrag„.

Der beratende Arzt der Klägerin äußerte in seiner Stellungnahme vom 1. September 2006 die Vermutung, dass die Verletzungen der Schulter der V kausal auf einen Vorschaden zurückzuführen sein könnte.

Nach vorheriger Ankündigung beschied die Klägerin die V mit Bescheid vom 9. Januar 2008, die Zahlung von Verletztengeld, das in ihrem Auftrag durch die Beklagte gezahlt werde, mit Ablauf des 3. Februar 2008 einzustellen. Zur Begründung verwies sie auf § 46 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII), wonach das Verletztengeld mit dem Ablauf der 78. Woche ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit ende, wenn mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen sei.

Die Klägerin meldete gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 11. Juni 2008 einen Erstattungsanspruch nach §§ 102 ff. des SGB X an, “um die Ausschlussfrist zu wahren (§ 111 SGB X)„. Es stehe noch nicht fest, ob die Erkrankung eine Folge eines Arbeitsunfalles sei. Sie machte konkret Kosten der Behandlung für den Zeitraum 13. September 2006 bis 3. Februar 2008 geltend (Eingang Erstattungsschreiben bei der Beklagten: 12. Juni 2008).

Mit Bescheid vom 6. Februar 2009 erkannte die Klägerin gegenüber V das Ereignis vom 7. August 2006 als Arbeitsunfall an, lehnte jedoch die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass dieses Arbeitsunfalls über den 4. September 2006 hinaus ab. Ein Anspruch auf Rente bestehe nicht. Der Unfall sei nicht geeignet gewesen, eine Verletzung der Rotatorenmanschette sowie die anlagebedingten Veränderungen im Schulterbereich hervorzuführen. Diese stünden nach gutachterlicher Einschätzung nicht in einem inneren ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfall.

Die Klägerin...

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