Entscheidungsstichwort (Thema)

Endgültige Leistungsfestsetzung. Vollstreckung. Verjährung (4 bzw. 30 Jahre). Erstattungsbescheid

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 28. Februar 2022 aufgehoben und der Antragsgegner verpflichtet, die Vollstreckung der Forderungen aus den beiden Bescheiden vom 1. März 2017 betreffend den Leistungszeitraum vom 1. Januar 2016 bis zum 30. November 2016 sowie der Mahngebühren bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren einzustellen.

Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für beide Instanzen zu tragen.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 28. Februar 2022 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Vollstreckung der Forderungen aus den Bescheiden vom 1. März 2017 und vom 20. April 2017 vorläufig einzustellen,

hat Erfolg.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die Vollstreckung aus zwei Erstattungsbescheiden vom 1. März 2017, mit denen der Antragsgegner einen Gesamtbetrag in Höhe von 8.730,26 Euro festgesetzt hat (4.761,96 Euro + 3.968,30 Euro), sowie gegen Mahnkosten in Höhe von 44 Euro, damit insgesamt einen Betrag in Höhe von 8.774,26 Euro. Anlass ihres Antrags ist die Vollstreckungsankündigung des Hauptzollamtes vom 12. Dezember 2021 (Bl. 8 der Gerichtsakte).

Der Senat hat den beschrittenen Rechtsweg nicht zu prüfen, weil das Sozialgericht diesen bejaht hat (zur Geltung des § 17a Abs. 5 Gerichtsverfassungsgesetz im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, Flint in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 51 Rdnr. 346_2 unter Berufung auf LSG Niedersachsen-Bremen vom 7. Dezember 2017 - L 8 SO 206/17 B ER - Rdnr. 9). Ungeachtet dessen ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten auch tatsächlich eröffnet. Grundsätzlich bleibt der Antragsgegner auch dann verantwortliche Vollstreckungsbehörde, wenn er die Zwangsvollstreckung durch das Hauptzollamt durchführen lässt (nach § 40 Abs. 8 Zweites Buch Sozialgesetzbuch - SGB II - i.V.m. §§ 4 und 5 Verwaltungsvollstreckungsgesetz - VwVG - und § 249 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 328 Abs. 1 Satz 3 der Abgabenordnung - AO). Der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit ist deshalb gegeben, weil die Antragstellerin Einwendungen gegen die zu vollstreckenden Verwaltungsakte selbst bzw. eine Vollstreckung hieraus und nicht gegen die Art und Weise der Vollstreckung erhebt (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Mai 2020 - L 3 AS 1168/20 ER-B -, Rdnr. 10; m.w.N.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Januar 2008 - L 11 AL 165/07 ER -, Rdnr. 8).

Die Beschwerde ist begründet, weil der Senat die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als erfüllt ansieht. Das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und -grundes ist jeweils glaubhaft.

Gemäß dem nach § 40 Abs. 8 SGB II i.V.m. § 5 VwVG anwendbaren § 257 Abs. 1 AO ist eine Vollstreckung u.a. dann einzustellen oder zu beschränken, wenn die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen weggefallen sind (Nr. 1 mit dem Verweis auf § 251 Abs. 1 AO) oder der Verwaltungsakt, aus dem vollstreckt wird, aufgehoben wird (Nr. 2) bzw. der Anspruch auf die Leistung erloschen ist (Nr. 3). § 251 Abs. 1 Satz 1 AO bestimmt als (allgemeine) Vollstreckungsvoraussetzung, dass Verwaltungsakte vollstreckt werden können, soweit nicht ihre Vollziehung ausgesetzt oder die Vollziehung durch Einlegung eines Rechtsbehelfs gehemmt ist. Nach § 3 Abs. 2 VwVG darf die Vollstreckung nur eingeleitet werden, wenn ein Leistungsbescheid vorliegt, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist, die Leistung fällig ist und ein - hier nicht relevanter - Zeitabschnitt (1 Woche nach Bekanntgabe des Leistungsbescheides oder seiner Fälligkeit) verstrichen ist.

Gemessen daran liegt im Fall der Antragstellerin kein Rechtsbehelf vor, der zur Aussetzung oder Hemmung der Vollziehung führt, denn die Erstattungsbescheide sind bestandskräftig. Die Antragstellerin hat zwar zuletzt am 19. März 2021 einen Überprüfungsantrag gestellt und danach auch nicht zurückgenommen, über den der Antragsgegner nach Aktenlage noch nicht entschieden hat (Bl. 938 R und 941 Verwaltungsakte). Es handelt es sich dabei jedoch nicht um einen Rechtsbehelf im obigen Sinne, sondern ein (neues) Verwaltungsverfahren, gerichtet auf die Korrektur der bestandskräftigen Verwaltungsakte (vgl. Schütze, SGB X, 9. Aufl., vor § 44 Rdnr. 4/5, beck-online).

Es spricht nach summarischer Prüfung für den Senat mehr dafür, dass die Erstattungsforderung, die der Beklagte mit Bescheiden vom 1. März 2017 festgesetzt hat, zwar entstanden ist, aber mit Ablauf des Jahres 2021 verjährte. Die Antragstellerin hat die Einrede der Verjährung auch erhoben. Ungeachtet des Wortlauts des § 257 AO, der den Fall der Verjährungseinrede gegen eine Forderung in der Vollstreckung nicht erfasst, ist die Bestimmung zumindest entsprechend anzuwenden, wenn es dem Antragsgegner verwehrt ist, ei...

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