Entscheidungsstichwort (Thema)

Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht. Europäisches Fürsorgeabkommen. Wirksamkeit des Ausschlusses von Grundsicherungsleistungen für den Unionsbürger. Hilfe zum Lebensunterhalt für arbeitslose Bürger der Europäischen Union

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Den Status eines Arbeitnehmers in Deutschland im Sinn des europäischen Freizügigkeitsrechts erwirbt nicht, wer sich weder bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitssuchend meldet noch eine versicherungspflichtige Arbeit ausübt.

2. Ein Bürger der Europäischen Union hat kein unbeschränktes Aufenthaltsrecht in einem Mitgliedsstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, wenn er keine ausreichenden Mittel zur Sicherung seiner Existenz besitzt.

3. Es ist mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar, den Zugang zu Leistungen, die nicht den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern, sondern nur den Lebensunterhalt sichern sollen, für Bürger anderer Mitgliedstaaten zu beschränken.

4. Die Regelleistung der Grundsicherung für Arbeitslose ist keine Leistung zur Erleichterung des Zugangs zum Arbeitsmarkt, sondern eine Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts.

5. Ein Ausländer kann Grundsicherung für Arbeitslose nur dann im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erhalten, wenn er glaubhaft macht, dass er auch in seinem Heimatland keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung für seinen Lebensunterhalt hat oder dass ihm auch eine wenigstens vorläufige Rückkehr in sein Heimatland nicht zumutbar ist.

 

Orientierungssatz

1. Ausgenommen von Grundsicherungsleistungen sind Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt.

2. Ein Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate besteht für den Unionsbürger nur dann, wenn er Arbeitnehmer oder Selbständiger ist und über ausreichende Existenzmittel verfügt.

3. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 ist gemeinschaftsrechts-konform, sofern er solche Leistungen nach dem SGB 2 betrifft, die nicht den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern, sondern den Lebensunterhalt sichern sollen.

4. Die Regelleistung nach § 20 Abs. 1 SGB 2 ist keine Leistung, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll, sondern eine Sozialhilfeleistung i. S. der  EG-Richtlinie 2004/38.

5. Der Wirksamkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 steht das Europäische Fürsorgeabkommen vom 11. 12. 1953 nicht entgegen.

 

Normenkette

SGB II § 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2 Nr. 2, § 1 Abs. 2, § 2 Abs. 1 S. 1, § 20 Abs. 1; FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 1 Fassung: 2007-08-19, Abs. 3, § 5 Abs. 1, 3 S. 1; Richtlinie 2004/38/EG Art. 6, 7 Abs. 1 Abs. b, Art. 24 Abs. 2; EG-Vertrag Art. 12 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1, Art. 39 Abs. 1-2; Europäisches Fürsorgeabkommen Art. 1, 2 Abs. b, Art. 16 Abs. b S. 2; Europäisches Fürsorgeabkommen Anh. Abs. 1, 2 Nr. 1

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juni 2009 wird zurückgewiesen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die nach § 172 Abs. 1 und § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Beschwerde der Antragstellerin griechischer Staatsangehörigkeit gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juni 2009 ist unbegründet. Das Sozialgericht hat den am 11. Juni 2009 bei Gericht eingegangenen, anwaltlich gestellten Antrag der Antragstellerin, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr ab dem 12. Juni 2009 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch -SGB II- zu bewilligen und die Kosten der Unterkunft im Wohnprojekt “D „ in Höhe von 16,34 € pro Tag vom 23. April 2009 bis zum 7. Juni 2009 zu übernehmen, zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und dass die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen.

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Anspruchsgrundlage für die von ihr begehrten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Danach erhalten Leistungen nach diesem Gesetz zwischen 15 und 65 Jahre alte erwerbsfähige Personen, die hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Ausgenommen sind gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Dies ist bei der Antragstellerin der...

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