Entscheidungsstichwort (Thema)

Interessenabwägung bei Bewilligung von Grundsicherungsleistungen durch einstweiligen Rechtsschutz. Fragliche Haushaltsgemeinschaft eines Beziehers von Grundsicherung nach dem SGB XII und eines Leistungsberechtigten nach dem SGB II. keine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II. Regelsatzhöhe

 

Orientierungssatz

1. Kann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Sach- und Rechtslage nicht abschließend geprüft werden, so ist eine Abwägung der Interessen der Verfahrensbeteiligten vorzunehmen.

2. Diese führt dann zu einer vorläufigen Verpflichtung des SGB 2-Leistungsträgers, wenn Leistungen geltend gemacht werden, die den durch das GG begründeten Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums verwirklichen. Dies gilt innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft erst recht dann, wenn innerhalb deren Mitgliedern zwar gegenseitige Unterstützung gewährt wird, aber der die Unterstützung Gewährende selbst existenzsichernde Leistungen erhält.

3. In zulässiger Weise kann dem vorläufigen Charakter des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens dadurch Rechnung getragen werden, dass die zugesprochene Leistung zeitlich begrenzt wird und sich nicht auf den Regelsatz in voller Höhe beläuft.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers hin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 15. Dezember 2008 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 1. Oktober 2008 als monatlichen Regelsatz einen Betrag von 316,00 € zu gewähren. Die Verpflichtung endet an dem Tag, an dem die Bestandskraft des Bescheides des Antragsgegners vom 2. Oktober 2008 eintritt, eine instanzbeendende Entscheidung des Sozialgerichts Berlin über eine Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 2. Oktober 2008 in der Fassung eines noch zu erlassenden Widerspruchsbescheides verkündet oder - falls eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergeht - zugestellt wird oder am 30. Juni 2009. Maßgebend für das Ende der Leistungspflicht ist das Ereignis, das zuerst eintritt.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller dessen außergerichtliche Kosten für beide Rechtszüge zur Hälfte zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde ist in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang begründet.

Der Antragsteller begehrt die Gewährung von höheren als den bereits zuerkannten Leistungen. In diesem Fall setzt - wie das Sozialgericht bereits ausgeführt hat - eine einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Leistung im Regelfall voraus, dass bei summarischer Prüfung mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch nach materiellem Recht (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 916 ZPO; Anordnungsanspruch) und eine besondere Eilbedürftigkeit feststellbar sind (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 917, 918 ZPO; Anordnungsgrund).

Von Verfassungs wegen sind jedoch dann besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens zu stellen, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Die Gerichte müssen in solchen Fällen entweder die Sach- und Rechtslage abschließend prüfen oder - wenn dies im Eilverfahren nicht möglich ist, anhand einer Folgenabwägung entscheiden (zusammenfassend Bundesverfassungsgericht vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05).

Der Senat sieht sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht in der Lage, die Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen. Ob der Antragsteller und sein “Halbbruder„ A D eine Haushaltsgemeinschaft bilden, ist nach Aktenlage, im besonderen auch nach dem Hausbesuch vom 1. Dezember 2008, nicht abschließend geklärt. Vom Antragsteller wurde lediglich klargestellt, dass sein “Halbbruder„ lediglich sein “Blutsbruder„ sei, mit dem er weder mütterlicher- noch väterlicherseits verwandt sei. Die Vermutungsregelung des § 36 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) gilt kraft Gesetzes nicht, § 43 Abs. 1 letzter Teilsatz SGB XII. Der somit von der Beklagten zu führende Nachweis einer “Haushaltsgemeinschaft„ wird durch den Hausbesuch des Prüfpersonals des Antragsgegners nicht erbracht. Die Aussagekraft des Prüfprotokolls leidet daran, dass Angaben über Tatsachen zumeist mit Bewertungen der Prüfperson vermengt sind. Ein “objektives„ Bild der tatsächlichen Wohn- und Lebensverhältnisse des Antragstellers erschließt sich daraus folglich nicht. Jedoch kann auch nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass es sich so verhält wie vom Antragsgegner angenommen. Dafür könnte etwa sprechen, dass nur der “Halbbruder„ des Antragstellers ein Konto besitzt, auf dem auch die für den Antragsteller bestimmten Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII eingehen und dass die Verfügungsmöglichkeit des Antragstellers über dieses Konto bislang nicht belegt ist.

Selbst wenn unterstellt würde, dass der Antragsteller mit seinem “Halbbruder„ in einer “Haushaltsgemeinschaft„ leben würde, wäre aber noch nicht die Frage beantwortet...

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