Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an das Bestehen einer Unterkunft als Voraussetzung der Bewilligung von Kosten für die Unterkunft durch den Grundsicherungsträger

 

Orientierungssatz

1. Der Begriff der Unterkunft i. S. von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB 2 setzt voraus, dass die Räumlichkeiten der Verwirklichung privater Wohnbedürfnisse des Antragstellers dienen. Kann der Leistungsberechtigte zwei Unterkünfte zu Wohnzwecken nutzen, so können nur die Kosten für die vorrangig tatsächlich genutzte Unterkunft vom Grundsicherungsträger übernommen werden.

2. Ein zeitweiliges Aufhalten ist nicht mit einem Wohnen gleichzusetzen. Die Bestimmung des Begriffs der Unterkunft geht nicht vom Umfang der Nutzung einer Wohnung aus, soweit diese jedenfalls nicht gänzlich entfällt.

3. Hat jemand eine Wohnung als Unterkunft, so stellt diese zugleich seinen gewöhnlichen Aufenthalt i. S. des § 30 Abs. 3 S. 2 SGB 1 dar. Danach hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort nicht nur vorübergehend verweilt.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Februar 2020 geändert, soweit der Antragsgegner verpflichtet worden ist,

für die Zeit vom 10. Januar 2020 bis 31. Januar 2020 mehr als 273,86 Euro und für die Zeit vom 01. Februar 2020 bis 29. Februar 2020 mehr als 462, 82 Euro zu zahlen.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zur Hälfte und des Beschwerdeverfahrens zu 8/10 zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Der Antragsgegner wendet sich gegen die ihm auferlegte Verpflichtung zur Gewährung von Leistungen an den Antragsteller vom 10. Januar 2020 bis 30. April 2020.

Der im September 1978 geborene Antragsteller, der im Oktober 2017 seinen Namen vollständig ändern ließ, ist iranischer Staatsangehöriger mit einer am 8. April 2019 ausgestellten und bis zum 7. April 2022 gültigen Aufenthaltserlaubnis mit Gestattung einer Erwerbstätigkeit.

Er ist seit 1. Dezember 2016 in der A Straße 15 in B mit alleiniger Wohnung gemeldet. Die von ihm für diese Wohnung zu zahlende Miete beträgt seit 1. Juli 2019 373,44 Euro monatlich.

Der Antragsteller hatte zum 1. März 2019 ein Gewerbe (Dellentechnik für Kraftfahrzeuge) an der Betriebsstätte Sstraße in B- angemeldet, für das er dort ab diesem Zeitpunkt eine Büro- und Lagerfläche angemietet hatte. Dieses Gewerbe hatte er zum 31. Juli 2019 wegen Unwirtschaftlichkeit abgemeldet.

Mit Bescheid vom 25. Juli 2019 waren ihm vom Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. September 2019 bis 31. August 2020, dabei für Unterkunft und Heizung von 373,44 Euro monatlich, bewilligt worden.

Der Antragsgegner erhielt im Oktober 2019 eine Email, worin darauf hingewiesen wurde, dass der Antragsteller nach eigenen Angaben nicht mehr in der A Straße 19 wohne und seine Wohnung untervermietet habe.

Nach vorläufiger Einstellung der Zahlung und einem am 15. November 2019 durchgeführten Hausbesuch hob der Antragsgegner mit Bescheid vom 21. November 2019 die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab 1. November 2019 ganz auf.

Den am 26. November 2019 gestellten Weiterbewilligungsantrag, mit dem der Antragsteller angab, weiterhin in der A Straße zu wohnen und sich manchmal, maximal an zwei bis drei Tagen pro Woche, in Neukölln bei einem Freund aufzuhalten, lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 4. Dezember 2019 ab: Bei dem am 15. November 2019 stattgefundenen Besuch sei zweifelsfrei festgestellt worden, dass der Antragsteller nicht mehr in seiner Wohnung wohne. Der Antrag auf Leistungen sei deswegen wegen Unzuständigkeit abzulehnen. Den dagegen eingelegten Widerspruch, mit dem der Antragsteller geltend machte, eine befreundete Familie habe Schlüssel von seiner Wohnung für den Fall, dass er seinen Schlüssel verlieren sollte, und er dort alleine wohne, wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2019 zurück: Die Einzimmerwohnung habe bei der Vor-Ort-Prüfung einen eher unbewohnten Eindruck gemacht. Sein Vortrag, eine befreundete Familie habe den Schlüssel seiner Wohnung nur für den Fall, dass er seinen Schlüssel verliere, erscheine nicht glaubhaft, nachdem er am 15. November 2019 erklärt habe, eine befreundete Familie leere regelmäßig seinen Briefkasten. In der Gesamtschau erscheine es nicht glaubhaft, dass der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt tatsächlich in der Wohnung habe. Dies gelte insbesondere auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass diverse Poststücke jeweils als Postrücklauf mit dem Vermerk „Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln“, an den Antragsgegner zurückgesandt worden seien. Dagegen ist Klage erhoben worden, die unter dem Aktenzeichen S 157 AS 87/20 registriert ist.

Am 10....

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