Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. keine Übernahme von Stromschulden. Vorrang der Selbsthilfe. vorläufiger Rechtsschutz beim Zivilgericht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Regelung des § 22 Abs 8 S 2 SGB 2, der bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen vorsieht, dass die Schuldenübernahme erfolgen "soll", also nur in atypischen Fällen versagt werden darf, ist bei einer drohenden oder erfolgten Unterbrechung der Stromversorgung nicht anwendbar. Ein Fall der drohenden Wohnungslosigkeit iS der genannten Vorschrift liegt nicht vor, da das Mietverhältnis durch die Unterbrechung der Stromversorgung nicht beeinträchtigt wird.

2. In Fällen, in denen gesundheitliche Auswirkungen einer Stromsperre behauptet werden, gehört es zur Selbsthilfepflicht, dass sich der Hilfesuchende bei dem Stromversorger unter Bezugnahme auf § 19 Abs 2 S 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Elektrizität aus dem Niederspannungsnetz (Stromgrundversorgungsverordnung, juris: StromGVV) vom 26. Oktober 2006 (BGBl I 2006, 2391) um eine Aufhebung der Stromsperre bemüht, und zwar notfalls auch unter Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes bei dem zuständigen Zivilgericht (vgl LSG Schleswig vom 2.5.2011 - L 6 AS 241/10 B ER).

 

Tenor

Die Beschwerden der Antragstellerin gegen die Ablehnung ihrer Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz und auf Prozesskostenhilfe durch den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 30. Mai 2011 werden zurückgewiesen.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Die Kosten der Beschwerdeverfahren werden nicht erstattet.

 

Gründe

Die am 10. Juni 2011 eingegangenen Beschwerden der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 30. Mai 2011, mit dem ihre auf die vorläufige Übernahme von Stromversorgungsschulden in Höhe von 1.687,34 EUR und auf die Gewährung von Prozesskostenhilfe gerichteten Begehren abgelehnt worden sind, haben keinen Erfolg.

Die zulässigen Beschwerden sind unbegründet. Hinsichtlich des Antrages auf vorläufigen Rechtsschutz hat die Antragstellerin, die laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezieht und deren Stromversorgung wegen der bestehenden Stromschulden bereits seit dem 12. Mai 2011 gesperrt ist, einen Anordnungsanspruch mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit nicht glaubhaft gemacht (§§ 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG], 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung [ZPO]).

Die Voraussetzungen der als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 1 Satz 1, 22 Abs. 8 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II) in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches vom 24. März 2011 (BGBl. I S. 453, 466) sind nicht erfüllt. Nach § 22 Abs. 8 SGB II können auch Schulden übernommen werden, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird und soweit die Schuldenübernahme zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.

Die Regelung des § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II, der bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen vorsieht, dass die Schuldenübernahme erfolgen “soll„, also nur in atypischen Fällen versagt werden darf, ist im vorliegenden Verfahren nicht anwendbar. Ein Fall der drohenden Wohnungslosigkeit im Sinne der genannten Vorschrift liegt nicht vor, da das Mietverhältnis durch die Unterbrechung der Stromversorgung nicht beeinträchtigt wird. Vielmehr liegt darin eine mit der Sicherung der Unterkunft vergleichbare Notlage im Sinne des § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II (vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27. Dezember 2010, L 3 AS 557/10 B ER; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Juli 2009, L 34 AS 1090/09 B ER; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.05.2009, L 7 AS 546/09 B ER, Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.12.2008, L 7 B 384/08 AS). Es kann offen bleiben, ob die begehrte Schuldenübernahme bereits daran scheitert, dass sie nicht gerechtfertigt ist. Jedenfalls ist das durch § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II eröffnete Ermessen nicht dahingehend auf Null reduziert, dass eine Schuldenübernahme vorgenommen werden muss. Die Antragstellerin muss sich entgegenhalten lassen, dass sie ihre Lage zumindest mitverschuldet und nicht alle Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft hat (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 2. Mai 2011, L 6 AS 241/10 B ER; Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27. Dezember 2010, L 3 AS 557/10 B ER; Landessozial...

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