Entscheidungsstichwort (Thema)

Stromschulden. Verhalten des Leistungsempfängers. Auslegung. Meistbegünstigungsprinzip. Bedarfsgemeinschaft. Darlehen. Rechtfertigung. Verschulden. Wohungslosigkeit. Haushaltsenergie. Abschlagszahlungen. Vertrauenstatbestand. Angemessenheit der Kaltmiete

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Übernahme von Schulden nach § 22 Abs. 5 SGB II ist i.d.R. nur “gerechtfertigt”, wenn der Hilfebedürftige unverschuldet in Zahlungsrückstand geraten ist, die Notlage bedrohlich ist und er die Schulden nicht aus eigenen Kräften tilgen kann. Daran fehlt es, wenn die Schulden dadurch entstanden sind, dass der Hilfebedürftige monatliche Abschlagszahlungen an einen Stromversorger nicht geleistet hat.

 

Orientierungssatz

1. Ein Empfänger von Grundsicherungsleistungen kann einen Anspruch gegen den Leistungsträger auf Übernahme von Schulden (hier: Rückstand mit Abschlagszahlungen an den Stromversorger) nur nach § 22 Abs. 5 SGB II geltend machen.

2. Das Tatbestandsmerkmal der “gerechtfertigten Schuldübernahme„ in § 22 Abs. 5 SGB II unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der vollen gerichtlichen Überprüfung. Dabei ist die Übernahme von Schulden durch den Leistungsträger unter anderem nur dann gerechtfertigt, wenn der Hilfebedürftige nach den Gesamtumständen unverschuldet mit Zahlungen auf unterkunftsbezogene Kosten in Rückstand geraten ist.

3. Eine in der Vergangenheit erfolgte Übernahme von Stromschulden durch den Leistungsträger schafft keinen darüber hinausgehenden Vertrauenstatbestand zu Gunsten des Hilfebedürftigen.

4. Die Schuldübernahme ist nicht gerechtfertigt, wenn der Hilfebedürftige mit den Abschlagszahlungen an den Stromversorger in Rückstand geraten ist, weil er - trotz Belehrung durch den Leistungsträger - in einer unangemessen teuren Wohnung verblieben ist und die gewährten Leistungen für Unterkunft und Heizung ausschließlich für die Mietzahlungen aufgewendet hat.

 

Normenkette

SGB II § 7 Abs. 3, § 20 Abs. 1, § 22 Abs. 5, § 23 Abs. 1 S. 1, § 34 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2 S. 2, § 123

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom  2. Juni 2009 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Das Begehren war unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R - Juris) nach § 123 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) dahingehend auszulegen, dass nicht nur Ansprüche des 1966 geborenen Antragstellers zu 1), sondern der Mitglieder der gesamten Bedarfsgemeinschaft - bestehend aus dem Antragsteller zu 1), seiner 1961 geborenen Ehefrau und der gemeinsamen, im Juli 1992 geborenen Tochter, geltend gemacht werden sollen (so genanntes “Meistbegünstigungsprinzip„). Denn nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ist nicht die Bedarfsgemeinschaft (vgl. § 7 Abs. 3 SGB II), die keine juristische Person darstellt, als solche, sondern grundsätzlich jedes einzelne Mitglied der Bedarfsgemeinschaft Anspruchsinhaber, hier mithin die Antragsteller zu 1), 2) und 3) (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006, a.a.O.).

Die statthafte und fristgerecht erhobene Beschwerde (vgl. § 172 Abs. 1 und § 173 SGG) der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 2. Juni 2009 hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat den am 28. April 2009 bei Gericht gestellten (sinngemäßen) Antrag der Antragsteller, die Antragsgegnerin im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Stromschulden in Höhe von 1.682,17 Euro (2.058,05 Euro laut Postenaufstellung des Stromversorgers vom 20. April 2009 abzüglich des mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. April 2009 gewährten Darlehens in Höhe von 375,88 Euro) im Wege eines Darlehens zu übernehmen, zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine dahingehende Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und dass die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen.

Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Anspruchsgrundlage für die Übernahme von Stromkosten, die - wie hier - aufgrund der Nichtzahlung der monatlichen Abschläge an den Energieversorger als Schulden zu qualifizieren sind, kann allein § 22 Abs. 5 SGB II in der ab dem 1. April 2006 geltenden Fassung (BGBl. I S. 558) sein (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Mai 2009 - L 7 AS 546/09 B ER - Juris). Diese Vorschrift verdrängt als spezielle Regelung § 34 Abs. 1 des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (vgl. die amtliche Begründun...

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