Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Unterkunftskosten. Auszug aus kostenfreier Wohnung. einschränkende Auslegung des § 22 Abs 1 S 2 SGB 2. keine Übertragbarkeit von § 22 Abs 2a SGB 2. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Anwendungsbereich von § 22 Abs 1 S 2 SGB 2 ist jedenfalls dahingehend einzuschränken, dass eine Begrenzung auf die alten Unterkunftskosten nur dann in Betracht kommt, wenn vor dem Umzug Wohnraum überhaupt zu sozial- und markttypischen Bedingungen bewohnt worden ist.

2. Die grundrechtlich garantierte Freizügigkeit (Art 11 GG) würde unverhältnismäßig beschränkt, wenn der Hilfebedürftige faktisch keine Möglichkeit zu einem Wohnortswechsel mehr hätte, weil die Aufwendungen der alten Unterkunft unter Ausblendung der Bedingungen des Wohnungsmarktes (hier: kostenfreies Wohnen eines Ehepaares im Elternhaus) festgelegt worden sind.

 

Orientierungssatz

Die für junge hilfebedürftige Erwachsene unter 25 Jahren geschaffenen Regelungen, denen zufolge ein Auszug aus dem Elternhaus nur nach vorheriger Zusicherung möglich ist, sind aufgrund ihres Ausnahmecharakters nicht übertragbar.

 

Normenkette

SGB II § 22 Abs. 1 S. 2, Abs. 2a; GG Art. 11

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 6. Mai 2008 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat den Antragstellern deren Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Antragsgegner den Antragstellern nach einem im Sommer 2007 ohne Zustimmung erfolgten Umzug die Kosten für die neue Unterkunft zu gewähren hat.

Der 1977 in B geborene Antragsteller zu 1) ist mit der 1975 geborenen Antragstellerin zu 2) verheiratet. Beide bewohnten bis zu ihrem Umzug nach B unter der Anschrift A K, O (S) ein Wohn- und ein Schlafzimmer, zusammen 60 qm, im Obergeschoss des Einfamilienhauses der Eltern der Antragstellerin. Ihren Angaben nach seien die Zimmer nicht über ein separates Treppenhaus erreichbar gewesen. Küche und Bad hätten sie sich mit der ebenfalls im Obergeschoss wohnenden Großmutter teilen müssen. Diese Unterkunft sei ihnen vorübergehend kostenfrei zur Verfügung gestellt worden. Lediglich ein Beitrag zu den Kosten der Abfallentsorgung von 12,40 Euro im Monat sei zu entrichten gewesen.

Der Antragsteller, der keine abgeschlossene Ausbildung hat, war vor dem Umzug vom 13. März bis zum 23. Mai 2007 arbeitslos, vom 24. Mai bis zum 3. Juli 2007 bei der Firma R beschäftigt und anschließend wieder arbeitslos. Die Antragstellerin ist ausgebildete Industriekauffrau, war von April 2003 bis März 2007 selbständig und ist seitdem arbeitslos. Zuletzt mit Bescheid vom 15. August 2007 bewilligte die ARGE Landkreis K (ARGE) ihnen Leistungen für den Monat Juli 2007, wobei als Kosten der Unterkunft lediglich 12,40 Euro monatlich anerkannt wurden.

Erstmals teilten die Antragsteller der ARGE im Mai 2007 ihre Absicht mit, nach B zu ziehen. Ohne eine entsprechende Zusicherung der ARGE eingeholt zu haben, unterschrieben sie dann am 4. Juli 2007 einen ab August 2007 laufenden Mietvertrag über die aus dem Rubrum ersichtliche 60 qm große Wohnung zu einem Mietzins von 476,02 Euro brutto warm, für deren Kosten sich die in B lebenden Eltern des Antragstellers gegenüber dem Vermieter verbürgten.

Mit Bescheid vom 21. August 2007 bewilligte der nach dem Umzug zuständige Antragsgegner den Antragstellern von August 2007 bis Januar 2008 Leistungen nach dem SGB II, übernahm dabei allerdings nur die vor dem Umzug angefallenen Kosten der Unterkunft von insgesamt 12,40 Euro monatlich. Teilweise rechnete er hierbei Einkommen an, das der Antragsteller zwischen dem 17. September und 29. Oktober 2007 aus einer Tätigkeit in B erzielt hatte.

Mit Bescheid vom 25. Januar 2008 bewilligte der Antragsgegner Leistungen für den Folgezeitraum Februar bis Juli 2008 in Höhe von 636,40 Euro monatlich, wiederum unter Berücksichtigung von Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von nur 6,20 Euro je Antragsteller.

Gegen beide Bescheide legten die Antragsteller Widerspruch ein, den der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 8. bzw. 15. April 2008 als unbegründet zurückwies.

Am 21. April 2008 haben die Antragsteller hiergegen Klage erhoben und zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt mit dem Begehren, die vollen Kosten für Unterkunft und Heizung gewährt zu bekommen.

Mit Beschluss vom 6. Mai 2008, dem Antragsgegner zugestellt am 14. Mai 2008, hat das Sozialgericht Berlin dem Antrag weitestgehend stattgegeben und den Antragsgegner verpflichtet, den Antragstellern monatliche Kosten für Unterkunft und Heizung im Zeitraum April bis Juli 2008 in Höhe einer Bruttokaltmiete von 413,44 Euro zuzüglich 42,84 Euro als Abschlag für Heizkosten und Warmwasser abzüglich der Warmwasserpauschale zu gewähren. Die in § 22 Abs. 1 Satz 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) vorgesehene Beschränkung der Mietkosten auf die vorangegangene Miete gelte - wie bereits das LSG Niedersachsen-Bremen entschieden habe ...

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