Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesamtschuldnerische Haftung eines Landwirts und dessen Ehegatten für Beiträge zur landwirtschaftlichen Rentenversicherung. Irrelevanz des versicherungsrechtlichen Status. Verfassungsmäßigkeit des § 70 Abs 1 S 2 ALG iVm § 1 Abs 3 S 1 ALG

 

Orientierungssatz

1. Die aktuell maßgebende Fassung des § 70 Abs 1 S 1 Nr 1 und S 2 ALG fordert nicht mehr, dass beide Ehegatten versichert sind. Es ist ausreichend, dass beide Ehegatten Landwirte sind.

2. § 70 Abs 1 S 2 ALG iVm § 1 Abs 3 S 1 ALG ist auch verfassungsgemäß.

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 16. Mai 2019 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen einen Haftungsbescheid der Antragsgegnerin in Höhe von 3.679,35 Euro.

Der im Oktober 1965 geborene Antragsteller ist der Ehemann der im August 1970 geborenen V R (Ehefrau), die als Mitgesellschafterin der „L GbR“, einem Pflanzen- und Tierproduktion betreibenden Land- und Forstwirtschaftsbetrieb, in der landwirtschaftlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig war. Der Antragsteller, der seit 1982 eine Beschäftigung ausübt, war von der Antragsgegnerin von der Versicherungspflicht als Landwirt vom 1. Juli 1996 bis 30. April 2018 befreit.

Mit Haftungsbescheid vom 5. Februar 2019 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, die von seiner Ehefrau geschuldeten Beiträge zur landwirtschaftlichen Rentenversicherung vom 1. September 2016 bis 31. Januar 2018 und vom 1. April 2018 bis 30. April 2018 in Höhe von insgesamt 3.679,35 Euro unter Hinweis darauf, dass der Antragsteller gesamtschuldnerisch hafte, zu zahlen.

Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Antragsteller geltend, er sei kein Landwirt. Die in § 1 Abs. 3 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) dargelegte Fiktion, dass der Ehepartner als Landwirt gelte, führe nicht dazu, dass er einer sei. Die aus dem Sinn und Zweck des ALG hergeleitete Argumentation zugunsten eines weiteren Verständnisses des in § 70 Abs. 2 ALG geforderten Landwirts reichten nicht aus, um eine gesamtschuldnerische Haftung zu begründen.

Gegen den Haftungsbescheid hat der Antragsteller beim Sozialgericht Neuruppin am 7. März 2019 Klage erhoben und zugleich Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit dem Begehren, die Vollstreckung des Haftungsbescheides mit sofortiger Wirkung zu untersagen, gestellt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 4. April 2019 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch gegen den Haftungsbescheid vom 5. Februar 2019 zurück.

Der Antragsteller hat darauf hingewiesen, Voraussetzung einer gesamtschuldnerischen Haftung sei, dass beide Ehepartner Landwirte seien. Er erfülle die Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 2 ALG jedoch nicht. Er beziehe seit 1982 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 25. Juli 2002 - B 10 LW 40/00 R sei am engen Verständnis des Tatbestandsmerkmals „sind Landwirte“ festzuhalten. Der Haftungsbescheid sei daher rechtswidrig. Ungeachtet dessen verstießen § 1 Abs. 3 ALG und § 70 ALG gegen die im Grundgesetz (GG) Art. 12 und 14 verankerten Grundrechte. Soweit die Antragsgegnerin Begründungen zum Entwurf des Agrarsozialreformgesetzes vorbringe, handele es sich nicht um eine gesetzliche Regelung, welche insofern keine Anwendung finden könne. Vielmehr sei auf die gesetzliche Regelung abzustellen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. Dezember 2003 - 1 BvR 558/99 sei auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar. Sofern der Ehepartner aufgrund seiner Tätigkeit über eigene Ansprüche auf Alterssicherung verfüge, verstoße die Regelung des § 1 Abs. 3 ALG gegen das GG. Dies ergebe sich eindeutig aus dem Umkehrschluss zu der Begründung im Urteil des BVerfG.

Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, die Ehefrau des Antragstellers sei ihrer Zahlungsverpflichtung trotz diverser Mahnungen nicht bzw. nicht vollständig nachgekommen. Versuche, die rückständigen Beiträge im Wege der Zwangsvollstreckung beizutreiben, seien erfolglos geblieben, so dass nunmehr der Antragsteller mit Haftungsbescheid in Anspruch genommen worden sei. Dass der Begriff „Landwirt“ umfassend zu verstehen und nicht nur landwirtschaftliche Unternehmer im Sinne von § 1 Abs. 2 ALG, sondern grundsätzlich auch deren Ehegatten einschließe, habe das BSG im Urteil vom 25. Juli 2002 - B 10 LW 40/00 R bereits ausdrücklich festgestellt gehabt. Zwar habe das BSG in dieser Entscheidung letztendlich die gesamtschuldnerische Haftung des nach § 1 Abs. 3 ALG versicherungspflichtigen Ehegatten abgelehnt. Anknüpfungspunkt hierfür sei jedoch ausdrücklich nicht der Versichertenstatus des Ehegatten als Fiktivlandwirt, sondern allein die Tatsache gewesen, dass dieser von der Versicherungspflicht befreit gewesen sei. Der Gesetzgeber habe diese Entscheidung des BSG sodann jedoch zum Anlass genommen, den Wortlaut des ...

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