Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch des Schülers auf ergänzende angemessene Lernförderung durch den Grundsicherungsträger

 

Orientierungssatz

1. Nach § 28 Abs. 4 SGB 2 wird auch außerschulische Lernförderung als Sonderbedarf vom Anspruch auf Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfasst. Diese ist als Mehrbedarf allerdings nur in Ausnahmefällen geeignet und erforderlich und damit notwendig. Das wesentliche Lernziel in der jeweiligen Klassenstufe ist regelmäßig die Versetzung in die nächste Klassenstufe bzw. ein ausreichendes Leistungsniveau.

2. Im Grundschulbereich kann der Übergang in die nächste Klassenstufe nicht notwendigerweise durch Versetzung, sondern auch durch Aufrücken eintreten.

3. Ist die Versetzung nicht wesentliches Lernziel der Jahrgangsstufe, so kann das wesentliche Lernziel allein durch den Begriff eines ausreichenden Leistungsniveaus bestimmt werden.

4. Eine ergänzende angemessene Lernförderung rechnet zum verfassungsrechtlich gebotenen menschenwürdigen Existenzminimum schulpflichtiger Kinder (BVerfG Urteil vom 9.2. 2010, 1 BvL 1709). Ist das Lernziel ohne eine zusätzliche Förderung nicht zu erreichen, so besteht Anspruch auf häusliche Lernförderung in Form von Einzelnachhilfe.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 19. Dezember 2017 aufgehoben.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, vorläufig die Kosten der Antragstellerin für häuslichen Einzelunterricht mit Förderschwerpunkt “geistige Entwicklung„ in den Unterrichtsfächern Deutsch und Mathematik in Form eines personalisierten Gutscheins oder einer Direktzahlung an einen Anbieter bis zum 31. August 2018, jedoch längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu übernehmen.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes zu erstatten.

 

Gründe

I.

Im Streit ist ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine häusliche Lernförderung (Einzelnachhilfe) im Wege einstweiligen Rechtsschutzes.

Die 2009 geborene Antragstellerin bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Antragsgegner.

Mit Bescheid des Staatlichen Schulamtes Cottbus vom 7. Juni 2017 war für die Antragstellerin ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Förderschwerpunkt “geistige Entwicklung„ festgestellt und zugleich war sie ab 12. Juni 2017 in den gemeinsamen Unterricht der Jahrgangstufe 1 der R-Grundschule S aufgenommen worden. Im Bescheid heißt es u. a. weiter: Die Antragstellerin wird nach dem Rahmenlehrplan für die Schule mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt “geistige Entwicklung„ unterrichtet. Der zusätzliche Förderumfang richtet sich nach den Bestimmungen der jeweils geltenden VV-Unterrichtsorganisation.

Am 26. September 2017 reichte die Mutter als gesetzliche Vertreterin der Antragstellerin die Bestätigung der R-Grundschule S vom 21. September 2017 über einen Lernförderbedarf (Nachhilfe) für die Antragstellerin für die Unterrichtsfächer Deutsch und Mathematik in der Klassenstufe 2 (gemeinsamer Unterricht/Förderschwerpunkt “geistige Entwicklung„) für einen Förderzeitraum vom 25. September 2017 bis 31. August 2018 ein. Es ist darin ausgeführt: Die Leistungsschwäche sei nicht auf unentschuldigte Fehlzeiten oder anhaltendes Fehlverhalten zurückzuführen. Es werde bestätigt, dass ergänzende angemessene Lernförderung geeignet und zusätzlich erforderlich sei, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen.

Die gesetzliche Vertreterin der Antragstellerin meldete die Antragstellerin bei dem Nachhilfeinstitut A am 21. September 2017 für die Nachhilfefächer Deutsch und Mathematik “häuslicherseits„ an. Eine entsprechende Lernförderung ist bisher nicht durchgeführt worden; Kosten sind bisher nicht angefallen.

Mit Bescheid vom 6. Oktober 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. November 2017, gegen den die Antragstellerin am 28. November 2017 beim Sozialgericht Cottbus Klage (S 2 AS 2486/17) erhoben hat, lehnte der Antragsgegner die Übernahme der Kosten für eine Lernförderung ab: Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 5 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) seien nicht gegeben. Es dürfte sich bei der gewünschten Nachhilfe wohl um eine die schulischen Angebote ergänzende Lernförderung handeln. Allerdings müsse die außerschulische Lernförderung zusätzlich erforderlich sein. Ein durch die Schule angebotener Nachhilfeunterricht gehe einem außerschulischen Nachhilferecht leistungsrechtlich vor. Ein Anspruch auf Übernahme bestehe neben weiteren Voraussetzungen mithin erst, wenn es keine schulischen Angebote der Lernförderung gebe (Hinweis auf Rechtsprechung von Landessozialgerichten). Es sei nicht erforderlich, auf außerschulische Lernangebote zurückzugreifen, da die Schule selbst kostenfreie Angebote vorhalte. Die Frage nach zusätzlichen sozialen Kontakten für die Antragstellerin sei rechtlich ohne Belang. Soziale Kontakte gehörten nicht zu den schulischen Lernzielen. Au...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt SGB Office Professional . Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge