Entscheidungsstichwort (Thema)

Akteneinsicht. Beschränkung durch die Behörde nach § 120 Abs. 1 SGG, § 99 Abs. 2 VwGO analog

 

Orientierungssatz

1.Für eine analoge Anwendung des § 99 Abs. 2 VwGO im sozialgerichtlichen Verfahren besteht jedenfalls dann kein Raum, wenn die beklagte Behörde eine Beschränkung der Akteneinsicht nach § 120 Abs. 1 SGG vorgenommen hat. Das SGG gibt den Beteiligten kein unbeschränktes Recht auf Akteneinsicht.

2.Das SGG sieht eine Zuständigkeit des LSG für eine Entscheidung über die Frage, ob dem Kläger bzw. seinem Prozessbevollmächtigten im Verfahren vor dem SG Einsicht in die von der Behörde vorgelegten Aktenbestandteile der Leistungsakte zu gewähren ist, im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens nicht vor.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 15. November 2010 aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Beschränkung der Akteneinsicht durch den Beklagten. In dem dem Streit zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Berlin wendet sich der Kläger gegen den Bescheid vom 29. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2009, mit welchem der Beklagte die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) versagt hat. Unter dem 3. Oktober 2009 hat der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, dagegen Klage erhoben und Einsicht in die Akten beantragt. Mit Schriftsatz vom 11. März 2010 hat der Beklagte auf die Klage erwidert, die Verwaltungsakte übersandt und folgendes mitgeteilt: “Die Akteneinsicht wird gemäß § 120 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hinsichtlich der Seiten Blatt 158 und 159 ausgeschlossen. Darüber hinaus wird die Akteneinsicht gestattet. Der Beklagte bittet das Gericht höflich darum, den Ausschluss der genannten Aktenteile bei der Akteneinsicht zu realisieren.„

Unter dem 16. März 2010 hat das SG den Bevollmächtigten des Klägers über die Gestattung der Akteneinsicht durch Mitnahme in die Kanzleiräume für eine Woche informiert, soweit die beantragte Akteneinsicht nicht durch den Beklagten ausgeschlossen worden sei. Das SG hat zugleich darauf hingewiesen, dass eine Verwertung der ausgeschlossenen Aktenteile gemäß § 128 Abs. 2 SGG nicht erfolgen werde. Das SG hat Blatt 158 und 159 der Verwaltungsakte des Beklagten gesondert aufbewahrt. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat daraufhin Akteneinsicht genommen und den Beklagten - zunächst außergerichtlich - aufgefordert, Einsicht in die ausgeschlossenen Aktenteile zu gewähren. Mit Schriftsatz vom 10. April 2010 hat der Kläger insoweit Leistungsklage gegen den Beklagten erhoben, die unter dem Verfahrenszeichen S 149 AS 12088/10*175 bei dem SG Berlin registriert wurde.

Unter dem 28. September 2010 hat der Kläger eine Entscheidung entsprechend § 99 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) beantragt. Die Einschränkung der Akteneinsicht durch den Beklagten sei rechtswidrig. Zwar sei im SGG ein Zwischenverfahren wie in § 99 Abs. 2 VwGO nicht vorgesehen, wegen der Garantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) müsse jedoch eine gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit bestehen. Überdies lägen die Gründe des § 119 Abs.1 SGG nicht vor, der Beklagte habe erkennbar auch keine Ermessensentscheidung getroffen. Die Erklärung der zuständigen obersten Aufsichtsbehörde iSd § 119 Abs. 1 SGG läge auch nicht vor. Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 15. November 2010 zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Der Beklagte könne sich schon auf die Beschränkungsmöglichkeit des § 25 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) berufen. Die Akteneinsicht in die ausgeschlossenen Aktenteile sei vorliegend weder zur Geltendmachung von Ansprüchen noch zur Verteidigung des Klägers erforderlich. Auch sei der Akteninhalt für die entscheidungserheblichen Tatsachen nicht von Bedeutung. Überdies seien auch die Rechte Dritter zu schützen, insbesondere fiele der Inhalt der ausgeschlossenen Aktenteile unter das Sozialgeheimnis des § 35 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I).

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen diesen Beschluss. Unter Vertiefung seines Vorbringens im Hauptsacheverfahren trägt er vor, eine vollständige Vorenthaltung der Aktenteile sei nicht rechtmäßig. Er verlange, von dem Inhalt, wenn schon nicht durch direkte Einsicht, auf andere Art und Weise in Kenntnis gesetzt zu werden. Überdies sei durch § 19 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) sichergestellt, dass der Kläger persönlich keine Einsicht in die (rechtmäßig) ausgeschlossenen Aktenteile erhalte.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 15. November 2010 zu verpflichten, ihm Kenntnis vom wesentlichen Inhalt der Blätter 158 und 159 de...

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