Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Anspruch auf Löschung von Sozialdaten/beratungsärztlichen Stellungnahmen in den Verwaltungsakten. Fernwirkung des aus dem Verstoß gegen § 200 Abs 2 Halbs 2 SGB 7 folgenden Beweisverwertungsverbots auf gerichtliche Gutachten. zulässige Klageart. Verpflichtungsklage

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein gerichtlich eingeholtes Gutachten unterliegt nicht bereits deshalb der Fernwirkung eines Beweisverwertungsverbots, wenn darin ein unter Verstoß gegen § 200 Abs 2 Halbs 2 SGB 7 unzulässig erlangtes Gutachten wiedergegeben wird und die Gutachten im Ergebnis übereinstimmen (ob eine Fernwirkung eines Beweisverwertungsverbots bei rechtlich unzulässig erstelltem Gutachten grundsätzlich besteht, wird offen gelassen).

2. Der Löschungsanspruch nach § 84 SGB 10 ist nicht auf solche "Folgespeicherungen" in Dokumenten einer Verwaltungsakte auszudehnen, wenn in dem Dokument ein datenschutzrechtlich unzulässig eingeholtes, bereits entferntes beratungsärztliches Gutachten lediglich mit Nennung des Beratungsarztes und seines Gutachtensergebnisses zitiert wird.

3. Der Löschungsanspruch nach § 84 SGB 10 ist mit einer Verpflichtungsklage geltend zu machen. Der Klageantrag muss die unzulässig genutzten Sozialdaten hinreichend bestimmt umschreiben, die Bezugnahme auf ein konkretes Gutachten reicht aus.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. November 2010 sowie der Bescheid der Beklagten vom 28. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2010 abgeändert und die Beklagte verpflichtet, die Stellungnahmen von Dr. F. vom 28. April und 28. Mai 2004 aus der Verwaltungsakte zu entfernen.

Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat ein Zehntel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf die Löschung beratungsärztlicher Stellungnahmen in den Verwaltungsakten der Beklagten und im Wege einer Zugunstenentscheidung nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf Rücknahme der Entscheidung über Ablehnung einer Verletztenrente wegen eines Arbeitsunfalles am 24.10.2001 hat.

Die 1959 in R. geborene Klägerin war 1989 als Asylbewerberin über Griechenland nach Deutschland ausgereist. Während ihres Asylverfahrens war sie mit Aushilfstätigkeiten beschäftigt, teilweise wegen Abschiebungsandrohung auch untergetaucht. Seit 1999 ist die Klägerin deutscher Staatsangehöriger. Aufgrund ihres in R. abgeschlossenen Studiums der Zahnmedizin hatte sie zunächst als Anpassungsassistentin gearbeitet, um die Approbation als Zahnärztin zu erlangen. Nach nicht bestandener Prüfung 1998 war sie arbeitslos und ab April 2001 arbeitete sie als Pharmaberaterin.

Auf der Rückfahrt von einer Tagung am 24.10.2001, zu der sie vom Arbeitgeber entsandt worden war, trat während der Fahrt auf der Autobahn in einer leichten Linkskurve an der Servolenkung des von ihr selbst gefahrenen Geschäftswagens eine Störung auf. Sie konnte das Fahrzeug auf einem zufällig zu diesem Zeitpunkt in gerader Fahrtrichtung gelegenen Parkplatz anhalten, wo es abgeschleppt wurde. Die Klägerin fuhr danach mit einem Mietwagen nachhause.

Die Klägerin zeigte der Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft, einer Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden nur noch Beklagte), mit Schreiben vom 25.11.2001, das der Beklagten über die Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie zugeleitet worden war, das Ereignis als Arbeitsunfall an, denn sie sei seit diesem Zeitpunkt erkrankt und in psychiatrischer Behandlung wegen extremer Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Angststörungen. Unter den 02.04.2002 erklärte die Klägerin ihr Einverständnis damit, dass die Beklagte die sie betreffenden ärztlichen Unterlagen beizieht.

Der behandelnde Psychiater M. gab auf Anfrage der Beklagten an (Bericht vom 11.04.2002), die Klägerin seit dem 16.11.2001 ambulant wegen einer isolierten Phobie bei vorbestehender generalisierter Angststörung zu behandeln. Es handele sich um Autofahrängste, die vor dem Unfallereignis nicht vorhanden gewesen seien. In dem von der Beklagten eingeholten Vorerkrankungsverzeichnis der AOK - Die Gesundheitskasse M. O. vom 21.06.2002 waren u. a. Arbeitsunfähigkeitszeiten enthalten für Dezember 1992 und Mai 1993 wegen reaktiver Depression, Suizidgefahr, für Februar/April 1997 wegen reaktiver Depression, für Juli 1998 wegen Globusgefühl, Erschöpfungssyndrom, Depression und für Februar/März 2000 wegen Belastungsreaktion/Anpassungsstörung, depressive Episode, phobische Störungen.

Mit Hinweisschreiben vom 17.06.2002 schlug die Beklagte der Klägerin mehrere Gutachter vor und wies auf ihr Recht, der Übermittlung von Sozialdaten an den Gutachter zu widersprechen, hin. In dem von der Beklagten veranlasst Gutachten von Prof. Dr. S. vom 27.03.2003 mit Ergänzung vom 28.07.2003 beurteilte er den Vorfall vom 24.10.2001 als Teilursache ein...

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