Entscheidungsstichwort (Thema)

gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Unfallkausalität. Gang in die Werkstatt. Theorie der wesentlichen Bedingung. Stolpern über den eigenen Hund. Bissverletzung. wesentliche Mitursache. selbst geschaffene Tiergefahr. instinktive Beißreaktion des Privathundes

 

Leitsatz (amtlich)

Stolpert ein unfallversicherter Unternehmer bei einer betrieblichen Verrichtung über seinen nicht als Nutztier einzustufenden, privaten Hund und beißt dieser daraufhin instinktiv zu, so ist die wesentliche Ursache der Verletzung nicht die unfallversicherte Verrichtung, sondern die dem privaten Bereich zuzuordnende spezifische Tiergefahr im Sinne des § 833 S 1 BGB.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 11.07.2019; Aktenzeichen B 2 U 68/19 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 25. Oktober 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Anerkennung (behördliche Feststellung) eines Arbeitsunfalls.

Der am xx. xx 1954 geborene und in N. wohnhafte Kläger ist als Inhaber des Unternehmens Auto- und Reifenservice G. C. selbständig tätig und freiwillig bei der Beklagten versichert. Sein Unternehmen verfügt u.a. über eine Werkstatt mit einem anschließenden Lagerraum. Am 19. Januar 2015 hielt sich neben dem Kläger auch dessen Hund in den Räumlichkeiten auf. Dabei handelte es sich um ein Privat- und keinen Wachhund. Gegen 11.50 Uhr holte der Kläger für ein Kundenauto Zündkerzen aus dem Lager. Auf dem Weg vom Lager in die Werkstatt übersah er, dass sein Hund auf dem Boden der Werkstatt lag. Er stolperte über den Hund und versuchte den Fall mit seinen Händen abzustützen. Dabei geriet seine rechte Hand in das Maul des Hundes, welcher instinktiv zubiss (Unfallanzeige vom 4. Mai 2015; Widerspruchsbegründung vom 10. Februar 2016). Nach dem es zu einem Infektverlauf der Bissverletzung kam, stellte sich der Kläger am 28. Januar 2015 in der B. Unfallklinik T. vor, wo Phlegmone am Daumen rechts mit Infekt im Bereich des radialen Seitenbandes am Phalangealgelenk sowie palmar am Grundgelenk festgestellt und behandelt worden (Bericht des Prof. Dr. S. vom 3. Februar 2015). Im Weiteren entwickelte sich ein chronisch regionales Schmerzsyndrom (CRPS) im Nachgang der Hundebissverletzung mit Dysästhesie im Bereich des ulnaren Daumennervens sowie der Entstehung einer posttraumatischen Arthrose des Daumenendgelenks rechts (Bericht des Prof. Dr. S. vom 23. Juni 2015). Unmittelbare Sturzverletzungen ohne Berücksichtigung des Hundebisses wurden weder vom Kläger berichtet noch von den behandelnden Ärzten dokumentiert.

Am 24. April 2015 wandte sich der Kläger an die Beklagte und teilte das Ereignis vom 19. Januar 2015 unter Verweis auf seine dadurch eingeschränkte Erwerbsfähigkeit mit.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger zunächst mit Bescheid vom 17. Juli 2015 einen vorläufigen Vorschuss auf Verletztengeld in Höhe von 7.000 Euro.

Mit Bescheid vom 30. Dezember 2015 lehnte der Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 19. Januar 2015 als Arbeitsunfall ab. Der Sturz sei allein durch die Anwesenheit des Hundes verursacht worden. Eine betriebsbedingte Gefahr habe nicht bestanden. Auch die anschließende Bissverletzung sei allein durch die Anwesenheit des Hundes verursacht. Die Gefährdung sei allein aus der Privatsphäre des Klägers entstanden. Damit bestehe kein rechtlich wesentlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und der betrieblichen Tätigkeit.

Gegen diese Entscheidung legte der Kläger am 13. Januar 2016 Widerspruch ein. Nach einer Mitteilung des D. e.V. auf eine Anfrage des B. e.V. sei für die Frage des Schutzes der gesetzlichen Unfallversicherung auf die konkrete Verrichtung zum Zeitpunkt des Unfalls abzuheben. Gehe der Beschäftigte seiner normalen betriebsdienlichen Verrichtung nach, bestehe grundsätzlich Unfallversicherungsschutz. Im Beispiel eines Sturzes aufgrund Stolperns sei es unerheblich, ob der Versicherte über einen Hund oder z.B. ein Kabel stolpere. Werde er während seiner normalen betriebsdienlichen Verrichtung von einem Hund gebissen, gelte das gleiche. Sofern er auf Grund von “Necken„ des Hundes gebissen werde, gehe er aber nicht mehr einer versicherten, sondern einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit nach und stehe nicht mehr unter Versicherungsschutz.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15. März 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei der Frage der objektiven Verursachung komme es darauf an, dass eine versicherte Verrichtung für das Unfallereignis und dadurch für den Gesundheitserstschaden eine Wirkursache sei. Liege hingegen eine konkurrierende Ursache vor, so sei wertend zu entscheiden, ob die versicherte Ursache wesentlich nach der Theorie der wesentlichen Bedingung sei. Die Unfallkausalität sei beispielsweise nicht gegeben, wenn eine eingebrachte Gefahr aus dem privaten Bereich die allein wesentliche Ursache sei. Es sei entscheidend, ob sich infolge der konkret ausgeübten Verrichtung ein Risiko...

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