Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung der Landwirte. Versicherungspflicht. Vorrang. Witwe. Erbengemeinschaft. Fortführung des landwirtschaftlichen Unternehmens nach Tod des Ehemannes im Interesse der minderjährigen Kinder. Witwe gilt als alleinige landwirtschaftliche Unternehmerin

 

Leitsatz (amtlich)

1. Führt die Witwe nach dem Tod ihres Ehemannes das landwirtschaftliche Unternehmen fort, begründet dies für sie eine Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Landwirte (KVdL), die einer freiwilligen Anschlussversicherung nach § 188 Abs 4 SGB V und einer Versicherung in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) vorgeht.

2. Bilden die Witwe und die minderjährigen Kinder eine Erbengemeinschaft und erklärt die Witwe, das landwirtschaftliche Unternehmen im Interesse ihrer Kinder bis zu deren Volljährigkeit im bisherigen Umfang weiter zu betreiben, gilt nur die Witwe als landwirtschaftliche Unternehmerin.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 02.07.2019 wird zurückgewiesen.

Die Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom 03.01.2020 und 09.01.2021 wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht der Klägerin in der Kranken- und Pflegeversicherung der Landwirte (KVdL).

Die 1979 geborene Klägerin ist Fachwirtin für Obst und Gartenbau; sie ist außerhalb der Landwirtschaft nicht berufstätig. Ihr Ehemann betrieb bis zu seinem Tod am 07.07.2018 eine Landwirtschaft im Nebenberuf. Die Landwirtschaft umfasst 0,91 ha Grünland, 3,30 ha Forst und 3,76 ha Baumobstfläche. Der Ehemann der Klägerin war hauptberuflich in einer internationalen Unternehmensberatung tätig und bei der A B (A) kranken- und pflegeversichert. Bis zum 07.07.2018 war die Klägerin über ihren Ehemann bei der A familienversichert. Sie hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt vorrangig um die Haushaltsführung und die Erziehung ihrer drei in den Jahren 2007, 2009 und 2011 geborenen Kinder gekümmert. Ausweislich des am 04.08.2018 vom Amtsgericht Rottenburg am Neckar ausgestellten Erbscheins beerbte die Klägerin ihren Ehemann zur Hälfte, die drei Kinder wurden zu je einem Sechstel Erben. Die Erbengemeinschaft ist bislang nicht aufgelöst. Die Klägerin bezieht seit dem 07.07.2018 eine (große) Witwenrente und eine Hinterbliebenenrente von der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft. Ihre Kinder sind über den Bezug einer Halbwaisenrente bei der A kranken- und pflegeversichert.

Die Beklagte wurde durch Art 1 LSV-Neuordnungsgesetz vom 12.04.2012 (BGBl I S 579) zum 01.01.2013 als Träger für die landwirtschaftliche Sozialversicherung in Form einer bundesunmittelbaren Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung errichtet. Sie trägt den Namen „Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau“ (SVLFG) und ist zuständig für die Durchführung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung, der Alterssicherung der Landwirte, der landwirtschaftlichen Krankenversicherung und der landwirtschaftlichen Pflegeversicherung.

Mit einem am 10.08.2018 bei der Beklagten eingegangenen Fragebogen machte die Klägerin Angaben zu ihren persönlichen Verhältnissen und stellte zugleich den Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht, da sie weiterhin bei der A versichert bleiben möchte. Mit Bescheid vom 14.09.2018 stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin ab dem 08.07.2018 als landwirtschaftliche Unternehmerin kranken- und pflegeversichert ist. Maßgebend für die Beitragseinstufung sei der korrigierte Flächenwert, aus welchem sich die Beitragsklasseneinstufung ergebe. Unter Heranziehung der Beitragsklasse 7 errechne sich ab dem 08.07.2018 ein zu entrichtender Beitrag von monatlich 259,06 € (KV: 226,65 €; PV: 32,41€).

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 01.10.2018 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, durch die Rentenversicherung Bund würden bereits Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung von ihrer Witwenrente in Abzug gebracht. Die doppelte Erhebung von Beiträgen belaste sie über Gebühr. Sie wolle - wie ihr verstorbener Ehemann - nicht bei der Beklagten pflichtversichert sein. Mit Schreiben vom 27.11.2018 wies die Beklagte darauf hin, dass die Klägerin seit dem 08.07.2018 ein landwirtschaftliches Unternehmen betreibe und ua 3,65 ha Baumobstflächen bewirtschafte. Die Mindestgröße für Unternehmen der Spezialkulturen sei unabhängig vom Hektarwert auf 2,20 ha festgesetzt. Da die Mindestgröße bereits durch das Baumobst erreicht werde, sei die Klägerin als landwirtschaftliche Unternehmerin anzusehen. Die Pflichtversicherung sei nur bei versicherungsfreien Personen ausgeschlossen. Eine Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner begründe keinen vorrangigen Versicherungstatbestand.

Mit Bescheid vom 03.01.2019 setzte die Beklagte die Höhe der ab 01.01.2019 zu zahlenden Beiträge auf monatlich 303,60 € (KV: 258,38 €; PV: 46,22 €) und den korrigierten Flächenwert auf ...

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