Entscheidungsstichwort (Thema)

Elterngeldanspruch eines in Deutschland lebenden, nicht erwerbstätigen EU-Ausländers. Freizügigkeitsrecht. Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen. Leistungsausschluss nur bei Aberkennung des Freizügigkeitsrechts durch die Ausländerbehörde

 

Leitsatz (amtlich)

Ausländer, die auf der Grundlage des europäischen Gemeinschaftsrechts freizügigkeitsberechtigt sind, stellt § 1 Abs 7 BEEG beim Bezug von Elterngeld vollständig mit deutschen Staatsangehörigen gleich (vgl BSG vom 10.7.2014 - B 10 EG 5/14 = SozR 4-7837 § 1 Nr 6). Die Überprüfung bzw Feststellung, dass das Freizügigkeitsrecht nicht mehr besteht, obliegt der zuständigen Ausländerbehörde (vgl VGH München vom 3.2.2015 - 19 CS 14.2276 = EzAR-NF 10 Nr 18).

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 06.10.2014 sowie der Bescheid der Beklagten vom 06.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2013 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für den 1. bis 12. Lebensmonat ihrer 2012 geborenen Tochter Elterngeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Klage- und Berufungsverfahren.

Die Revision wird zugelassen

 

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch auf Elterngeld nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG).

Am 07.02.2013 beantragte die Klägerin für ihre am 2012 geborene Tochter N. Ch. (N) Elterngeld für den 1.-12. Lebensmonat bei der Beklagten unabhängig von ihrem Einkommen nur in Höhe des Mindestbetrages von 300 €. Die Klägerin ist ungarische Staatsangehörige. Der Vater, A. I. Ag., besitzt die nigerianische Staatsangehörigkeit. Die Klägerin wohnt seit 16.11.2012 in Deutschland, zuvor war ihr Wohnsitz in Serbien. Sie war vor der Geburt nicht erwerbstätig. Auch der Vater des Kindes war vor der Geburt nicht erwerbstätig. Ihm wurde am 24.01.2012 eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens längstens gültig bis 27.02.2013 ausgestellt.

Mit Schreiben vom 12.02.2013 forderte die Beklagte von der Klägerin weitere Unterlagen an, insbesondere eine von der Ausländerbehörde ausgefüllte Bescheinigung über den Aufenthaltsstatus. Die Klägerin teilte mit, dass sie im Moment nicht krankenversichert sei und ihr Antrag auf Leistungen nach dem SGB II beim Sozialgericht Ulm (SG) entschieden werde. Eine Freizügigkeitsbescheinigung könne nicht übersandt werden, da es eine solche wegen einer Gesetzesänderung nicht mehr gebe. Mit Bescheid vom 06.03.2013 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, die Klägerin sei im beantragten Bezugszeitraum vom 09.12.2012 bis 08.12.2013 weder gemäß § 2 Abs 2 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt noch besitze sie eine Niederlassungs- oder Aufenthaltserlaubnis, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtige oder berechtigt habe.

Gegen den Bescheid legte der Klägerbevollmächtigte am 14.03.2013 Widerspruch ein. Das Jobcenter U. teilte der Beklagten mit, dass es aufgrund eingelegter Rechtsmittel vorläufig Leistungen nach dem SGB II ab dem vierten Monat des Aufenthalts in Deutschland bis 31.08.2013 gewähre. Nachfolgend gewährte das Jobcenter zumindest für den gesamten beantragten Bezugszeitraum Leistungen. Die Klägerin machte im Widerspruchsverfahren geltend, dass Art 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ein voraussetzungsloses Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern im gesamten Unionsgebiet begründe. In den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland sei die Klägerin also ohne Weiteres freizügigkeitsberechtigt. Auch für den nachfolgenden Zeitraum sei bis zu einer etwaigen Verlustfeststellung von einer Freizügigkeitsvermutung zu Gunsten Nichterwerbstätiger auszugehen. Die Ausländerbehörde Ulm teilte der Beklagten am 22.04.2013 telefonisch mit, dass die Klägerin nicht freizügigkeitsberechtigt und von einer Vermutung der Freizügigkeit nicht auszugehen sei. Die Klägerin sei vorsätzlich schwanger ins Bundesgebiet eingereist. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.04.2013 wies die Beklagte den Widerspruch unter Hinweis auf die fehlende Freizügigkeitsberechtigung zurück. Eine Ausnahme gemäß § 1 Abs 7 BEEG (- ein zum Bezug des Elterngelds berechtigender Aufenthaltstitel -) liege ebenfalls nicht vor.

Hiergegen hat die Klägerin am 29.04.2013 Klage zum SG erhoben und beantragt, ihr Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Das SG hat den Antrag wegen fehlender Erfolgsaussicht abgelehnt. Mit Beschluss vom 09.09.2014 hat der erkennende Senat auf Beschwerde der Klägerin den Beschluss aufgehoben und ihr für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und den Klägerbevollmächtigten beigeordnet.

Mit Urteil vom 06.10.2014 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin weder freizügigkeitsberechtigt im Sinne des § 2 Abs 2 FreizügG/EU sei noch eine Niederlassung- und Aufenthaltserlaubnis besitze, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtige oder berechtigt habe. Die Klägerin sei nach ihrem eigenen Vortrag zur Geburt des Kindes we...

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