Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. Schüler. sachlicher Zusammenhang. organisatorischer Verantwortungsbereich der Schule. Gruppenprojektarbeit im häuslichen Bereich. Abgrenzung zur Hausaufgabe. maßgebliches Kriterium: Aufgabenerteilung durch den Lehrer nach Lehrplan

 

Leitsatz (amtlich)

Gruppenprojektarbeit, bei dem der schulorganisatorische Rahmen gelockert wird, kann eine organisatorisch von der Schule getragene Unternehmung sein, auch wenn sie im häuslichen Bereich stattfindet. Wenn die Schule den minderjährigen Schülern die Entscheidung überlässt, ob und wie sie eine Unterrichtsaufgabe erledigen und sie dann nicht mehr beaufsichtigt, führt dieser "aufgelockerte" Schulunterricht nicht dazu, dass die gesetzliche Schülerunfallversicherung entfällt. Der Schutzbereich der Unfallversicherung deckt diese Formen modernen Unterrichts ab.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 23.01.2018; Aktenzeichen B 2 U 8/16 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 21. Oktober 2014 und der Bescheid vom 10. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2013 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, das Ereignis vom 7. März 2013 als Arbeitsunfall festzustellen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers beider Instanzen zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung des Ereignisses vom 7. März 2013 als Schüler-Unfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung streitig.

Bei dem 1997 geborenen Kläger wurde 2005 ein atypischer Teratoid-Rhabdoid-Tumor der Thalamus-Stammganglienregion entfernt und danach mit synchroner Radiotherapie behandelt, zusätzlich bestand eine Peronaeus-Schwäche beidseits bei peripherer Polyneuropathie sowie eine Achillessehnenverlängerung beidseits (Arztbericht des Klinikums L. vom 25. März 2013, Bl. 33 SG-Akte). Aufgrund dieser Erkrankung/Behandlung litt der Kläger an einer Adipositas und einer leichten Gehbehinderung, die nach Angaben seiner Eltern dazu führte, dass er an der Schule einem extremen Mobbing ausgesetzt war (polizeiliches Protokoll vom 11. März 2013, Bl. 59, 64 V-Akte).

Der Kläger war Schüler der E.-K.-Realschule in St.. Im Rahmen des Musikunterrichts wurde die Thematik “Musik und Werbung„ bzw. “Wirkung von Musik„ bearbeitet. Zunächst wurde im Unterricht die theoretische Grundlage erarbeitet, danach sollten in Kleingruppen Werbeclips hergestellt werden. Die Aufgabe bestand darin, einen Werbeclip zu einem bestimmten Produkt zu filmen, zu schneiden, zu bearbeiten und mit passender Musik zu unterlegen. Zunächst war vorgegeben, dass der Werbeclip während des Musikunterrichts auf dem Schulgelände gedreht werden sollte. Auf Bitten der Schüler erhielten diese von der Musiklehrerin W. die Möglichkeit, den Werbeclip auch außerhalb des Schulunterrichts im privaten Bereich zu drehen. Vorgegeben war der Abgabetermin, nicht aber Drehzeit und Drehort. Von dieser Möglichkeit machte die Hälfte der Schüler Gebrauch. Der Schulleiter war nicht darüber informiert worden, dass die Projektarbeit auch außerhalb der Schule hätte stattfinden können.

Am 7. März 2013 traf sich der Kläger nachmittags mit drei Mitschülern zuhause bei einem Mitschüler, um den Werbeclip zu drehen, in dem er mehrere Szenen spielen sollte. Er war der Annahme, er werde gefilmt, während er mit einem Getränk aus der Haustür herauskam, während tatsächlich der Akku des Aufnahmegeräts leer war. Als er das merkte, verließ er wütend den Drehort in Richtung nach Hause und rief seine Großmutter an, damit diese ihn abholen solle. Der damals vierzehnjährige Schädiger verfolgte ihn und rempelte ihn mit dem Ellenbogen an. Hierbei stolperte der Kläger, fiel auf den Rücken und schlug mit dem Kopf auf den Fahrbahnbelag auf. Danach war er kurzfristig ohne Bewusstsein. Seine Großmutter brachte ihn sofort in das Klinikum L., wo zunächst nur eine Schürfung am rechten Ellenbogengelenk imponierte und er zweimal erbrach. Bei Verdacht auf Commotio cerebri erfolgte eine stationäre Überwachung. Am Folgetag war er verlangsamt und hatte Doppelbilder, es zeigte sich dann im Computertomogramm (CT) ein großes epidurales Hämatom und eine frontale Kontusion, so dass die Diagnose eines Schädel-Hirn-Traumas mit linksfrontaler Contre-Coup-Blutung gestellt wurde. Nach zwei Operationen wurde der Kläger ins künstliche Koma versetzt, dann nach langsamen Erwachen weiter bis zum 25. März 2013 stationär behandelt und anschließend in eine Rehabilitationsmaßnahme verlegt. Seit dem Unfall ist der Kläger rollstuhlpflichtig und mittlerweile in einer Internats-Schule für Körperbehinderte Menschen beschult.

Mit Urteil vom 15. August 2013 wurde der Täter vom Amtsgericht Marbach am Neckar wegen fahrlässiger Körperverletzung nach §§ 229, 230 Strafgesetzbuch zu 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit nach näherer Weisung der Jugendgerichtshilfe verurteilt (Az.: 2 DS 35 Js 13676/13). Dabei wurde zugunsten des Täters berücksichtigt, dass dieser sehr ...

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