Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Teilhabe am Arbeitsleben. Beschäftigung im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen. Unterbringung in einem Pflegeheim

 

Leitsatz (amtlich)

Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege unterscheiden sich nach ihren unterschiedlichen Zielrichtungen. Deshalb können auch Bewohner einer vollstationären Pflegeeinrichtung Anspruch auf Eingliederungshilfe in der Form des Besuchs des Arbeitsbereichs einer WfbM haben.

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. November 2016 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte zur Erbringung von Eingliederungshilfeleistungen im Arbeitsbereich der Z. Werkstatt in B., einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen (i.F.: WfbM) der Beigeladenen, verpflichtet ist.

Die am 31. Dezember 1963 geborene alleinstehende Klägerin war zuletzt von 1986 bis 2006 als Bürogehilfin in einem Textilhandelsunternehmen in Vollzeit beschäftigt. Sie ist infolge einer am 14. Dezember 2006 erlittenen Hirnstammblutung im Brückenbereich (Pons) schwer behindert; es bestehen u.a. eine teilweise Lähmung aller vier Extremitäten (ataktische, leicht linksbetonte Tetraparese), sodass die Klägerin zur Fortbewegung auf einen Rollstuhl angewiesen ist, eine Sprachbehinderung (Dysarthrophonie) und Schluckstörung (Dysphagie). Bei der Klägerin ist seit April 2012 eine Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 100 sowie den Nachteilsausgleichen “B„, “G„, “aG„ und “H„ festgestellt. Ab Juni 2007 war sie in der sozialen Pflegeversicherung der damals gültigen Pflegestufe II und ist seit Januar 2017 dem Pflegegrad 3 zugeordnet. Für die Klägerin ist eine gesetzliche Betreuung eingerichtet, wobei anfänglich der Bruder der Klägerin ihr Betreuer war; seit Oktober 2012 ist gesetzlicher Betreuer der Berufsbetreuer H. R. (Aufgabenkreis: vermögensrechtliche Angelegenheiten einschließlich der Geltendmachung von Renten-, Unterhalts- und Sozialhilfeansprüchen und sonstiger Versorgungsangelegenheiten). Seit August 2007 bezieht die Klägerin aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Darüber hinaus zahlt ihr die Beigeladene ein Werkstattentgelt.

Nach ihrer Erkrankung zog die Klägerin, die bis dahin allein in einer Wohnung in H. gewohnt hatte, zu ihrem Vater und Bruder in das gemeinsame Hausanwesen in H.-B. I.. Nachdem der Vater im Januar 2011 verstorben und die häusliche Pflege auch durch den Bruder wegen dessen gesundheitlicher Verfassung nicht mehr möglich war, wurde die Klägerin am 17. September 2012 vollstationär in das in H. gelegene Altenpflegeheim S. J. der Stiftung S. E. aufgenommen. Der Beklagte gewährt der Klägerin seitdem Hilfe zur Pflege in einer stationären Einrichtung in Form der Unterbringungskosten im Altenpflegeheim, wobei die Kostenübernahme wegen eines hälftigen Miterbenanteils der Klägerin an dem vorgenannten Hausgrundstück in B. I. (Verkehrswert laut Gutachten vom 13. August 2014 4.000,00 Euro) zunächst darlehensweise erfolgte (vgl. Bescheid vom 8. Juli 2013), jedoch rückwirkend in einen Zuschuss umgewandelt wurde (vgl. Aktenvermerk des Beklagten vom 10. Oktober 2016), nachdem sich im Rahmen der von der kreditgebenden Bank betriebenen Zwangsversteigerung des Grundstücks am 17. August 2016 ein Erlösüberschuss zugunsten der Miterben nicht ergeben hatte. Bereits am 7. Juli 2016 war das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet worden.

Am 13. Februar 2013 wurde die Klägerin in das Eingangsverfahren, ab 13. Mai 2013 in den Berufsbildungsbereich (bis 12. Mai 2014 Grundkurs, ab 13. Mai 2014 2. Jahr) der WfbM der Beigeladenen teilstationär aufgenommen, wobei Kostenträger jeweils die Deutsche Rentenversicherung Bund war. Seit 13. Mai 2015 ist die Klägerin dort im Arbeitsbereich beschäftigt. Zwischen dem Beklagten und der Beigeladenen bestehen Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) u.a. betreffend den Leistungstyp I.4.4 “Tagesstrukturierende Angebote für Menschen mit Behinderung im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen„. Die Zielgruppe und der Hilfebedarf dieses Leistungsangebots ist ausweislich des in den Vereinbarungen in Bezug genommenen Rahmenvertrags nach § 79 Abs. 1 SGB XII vom 15. Dezember 1998 (in der aktualisierten Fassung vom 22. November 2012) in der Anlage 1 folgendermaßen beschrieben: “Erwachsene Menschen mit wesentlichen geistigen, körperlichen und/oder seelischen Behinderungen - im Sinne von § 53 SGB XII und der Eingliederungshilfeverordnung, die wegen Art und/oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können und ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erreichen; mit unterschiedliche...

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