Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Halbwaisenrente gem § 67 Abs 1 Nr 1 SGB 7. zweite Berufsausbildung. Erwerbshinderungsgrund gem § 67 Abs 3 S 1 Nr 2 Buchst a Alt 2 SGB 7

 

Orientierungssatz

1. Zum bejahten Anspruch einer Halbwaise auf Rentenzahlung gem § 67 Abs 1 Nr 1, Abs 3 S 1 Nr 2 Buchst a SGB 7, wenn sie sich nach ihrer ersten Ausbildung (hier: staatlich anerkannte Physiotherapeutin) in einer weiteren, zweiten Berufsausbildung (hier: Studium für das Lehramt) befindet.

2. Die vom BSG für das Halbwaisenrecht nach dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung vorgenommene Auslegung, wonach eine Berufsausbildung immer dann beendet ist, wenn der erste auf dem Arbeitsmarkt verwertbare Abschluss erreicht ist (vgl BSG vom 18.6.2003 - B 4 RA 37/02 = SozR 4-2600 § 48 Nr 2), findet, anders als gemäß § 48 Abs 1 Nr 1 SGB 6, wonach der überlebende Elternteil unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig sein muss, weder im Wortlaut als Grenze der Auslegung von § 67 Abs 1 Nr 1 SGB VII, wo die Unterhaltspflicht nicht ausdrücklich angeführt ist, noch in § 67 Abs 3 S 1 Nr 2 Buchst a SGB VII eine hinreichende Stütze.

3. Die Regelung der Unterhaltspflicht im bürgerlichen Recht bei der Vorbildung zu einem Beruf nach § 1610 Abs 2 BGB ist nicht einschlussweise in § 67 Abs 1 Nr 1, Abs 3 S 1 Nr 2 Buchst a SGB 7 enthalten und daher bei der Auslegung dieser Vorschrift unmaßgeblich. Die Waisenrente für eine Berufsausbildung hängt im Unterschied zu dem bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruch des § 1610 Abs 2 BGB folglich nicht davon ab, ob Unterhaltsbedürftigkeit auf der einen und Unterhaltsfähigkeit auf der anderen Seite bestehen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 07.05.2019; Aktenzeichen B 2 U 30/17 R)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 26. April 2017 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob trotz einer zweiten Berufsausbildung über September 2016 hinaus Halbwaisenrente zu gewähren ist.

Der türkische Staatsangehörige A. I. C. (Im Folgenden: Versicherter) betrieb ein Fuhrunternehmen und war bei der der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen, einer Rechtsvorgängerin der Beklagten, ab 21. Juni 1999 Mitglied. Am 11. Mai 2001 kam er auf der geplanten betrieblichen Fahrt von V. über Vi. nach M. mit dem von ihm gelenkten und zuvor angemieteten Lastkraftwagen auf der Autobahn (A) 6 in Höhe des Vi.er Kreuzes aufgrund nicht angepasster Geschwindigkeit ins Schleudern und kippte mit seinem Fahrzeug auf die linke Seite, wodurch er eine Teildekapitation und einen Genickbruch erlitt und verstarb. Er war verheiratet, lebte jedoch von seiner Ehefrau getrennt. Aus der Ehe gingen die 1995 geborene Klägerin und ein Sohn hervor, welche bei ihrer Mutter und deren neuem Partner, den diese mittlerweile heiratete, wohnten.

Die Klägerin erlangte nach achtjährigem Gymnasium 2013 die Allgemeine Hochschulreife. Vom 1. Oktober 2013 bis 30. September 2016 absolvierte sie beim Berufskolleg W. eine Ausbildung zur staatlich anerkannten Physiotherapeutin. Zum Wintersemester 2016/2017, welches am 1. Oktober 2016 begann, nahm sie nach Immatrikulation an der J.-M.-Universität W. ein Studium für das Lehramt an Realschulen mit den Hauptfächern Französisch, Geographie und Erziehungswissenschaften auf, welches sie durchweg betrieb und mit der Ersten Staatsprüfung abschließt.

Mit Bescheid vom 24. Oktober 2001 wurde der Klägerin eine Halbwaisenrente in Höhe von monatlich 650 DM (332,34 €) gewährt, wobei ausgeführt wurde, dass ihr die Rente bis 31. August 2013 gezahlt werde, also bis zum Ende des Monats, in dem sie das 18. Lebensjahr vollendet habe. Mit Bescheid vom 18. November 2013 wurde ihr unter Bezugnahme auf die Berufsausbildung als Physiotherapeutin die Halbwaisenrente über das 18. Lebensjahr hinaus bewilligt und angemerkt, die Rente ende spätestens am 30. September 2016.

Mit Schreiben vom 1. Juli 2016 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass die bislang gezahlte Waisenrente mit Ablauf des September dieses Jahres wegfalle, wenn nicht bestimmte Vor-aussetzungen für die Weiterzahlung vorlägen. Da sie hierauf nicht reagierte, „entzog“ die Beklagte mit Bescheid vom 29. August 2016 „die Rente“ mit Ablauf des Folgemonats. Die Klägerin habe ihre Berufsausbildung unterbrochen oder beendet.

Am 17. September 2016 beantragte sie die weitere Gewährung der Halbwaisenrente. Nachdem sie eine Immatrikulationsbescheinigung zum Nachweis der Aufnahme des Studiums an der J.-M.-Universität W. vorgelegt hatte, lehnte es die Beklagte mit Bescheid vom 24. Oktober 2016 ab, über den 30. September 2016 hinaus Halbwaisenrente zu bewilligen. In Anlehnung an das Unterhaltsrecht werde eine Waisenrente nur für den Abschluss einer Berufsausbildung gezahlt, mit dem die Waise auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig werden könne. Mit demjenigen als staatli...

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