Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankengeld. Unterbleiben einer Fristsetzung von zehn Wochen zur Stellung eines Antrags auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. keine Nachholbarkeit der diesbezüglichen Ermessensausübung durch die Krankenkasse nach Verstreichen der Frist

 

Leitsatz (amtlich)

Es steht im Ermessen der Krankenkasse, ob sie Versicherten gemäß § 51 Abs 1 SGB V eine Frist von zehn Wochen setzen, innerhalb der sie einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu stellen haben. Macht die Krankenkasse von dem ihr zustehenden Ermessen keinen Gebrauch, kann sie die Ermessensausübung nach Ablauf der Zehn-Wochen-Frist nicht mehr nachholen, auch nicht im Widerspruchsbescheid.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 07.02.2020 sowie der Bescheid der Beklagten vom 19.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2013 aufgehoben.

Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Klage- und im Berufungsverfahren trägt die Beklagte.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem sie aufgefordert wurde, einen Antrag auf Rehabilitationsmaßnahmen zu stellen.

Die 1951 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse gesetzlich krankenversichert. Sie war zuletzt als Altenpflegerin versicherungspflichtig beschäftigt. Ab dem 06.08.2012 wurde ihr vom behandelnden Arzt fortlaufend Arbeitsunfähigkeit (AU) bescheinigt. Die erste AU-Bescheinigung enthält die Diagnose M99.93 (biomechanische Funktionsstörung, Lumbalbereich). Aufgrund dieser AU erhielt sie von der Beklagten Krankengeld (Krg) ab dem 14.08.2012; das Krg wurde schließlich bis zum 01.01.2014 gezahlt.

Am 13.11.2012 erstellte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) auf Veranlassung der Beklagten ein Sozialmedizinisches Gutachten. Dieses Gutachten beruht auf der Auswertung medizinischer Befundberichte und einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 12.11.2012. In diesem Gutachten wurde das Leistungsvermögen der Klägerin wie folgt beurteilt: Aufgrund der psychopathologischen Befunde sei die weitere AU der Klägerin medizinisch begründet. Empfohlen werde die Vorstellung der Klägerin in der Schmerzambulanz zB im Neurozentrum F.. Eine multimodale mehrdimensionale Schmerztherapie könne empfohlen werden. Des Weiteren sei die Durchführung einer stationären psychosomatischen Rehabilitationsmaßnahme indiziert. Eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit lägen ebenso vor wie die Voraussetzungen für § 51 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Aus medizinischer Sicht sei die Klägerin auf Zeit weiter arbeitsunfähig.

Mit einem mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Schreiben vom 19.11.2012 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass nach einem der Beklagten vorliegenden Gutachten die Erwerbsfähigkeit der Klägerin zurzeit erheblich gefährdet oder gemindert sei. Nach dem Gutachten sei eine Rehabilitationsmaßnahme zum jetzigen Zeitpunkt im Sinne der Klägerin und werde deshalb von der Beklagten empfohlen. Ferner wird ausgeführt: „Des Weiteren ist es nach § 51 Abs 1 SGB V eine Aufgabe der Krankenkasse, dafür Sorge zu tragen, dass Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit nach ärztlichem Gutachten erheblich gefährdet ist, innerhalb einer Frist von 10 Wochen einen Antrag auf Maßnahmen zur Rehabilitation stellen. Deshalb bitten wir Sie, innerhalb der nächsten 10 Wochen einen solchen Antrag zu stellen, und zwar auch dann, wenn Maßnahmen zur Rehabilitation zu Lasten des Rentenversicherungsträgers erst vor kurzer Zeit durchgeführt worden sind. Ein Antragsformular mit Zusatzfragebogen fügen wir bei. ... Stellen Versicherte innerhalb der nach § 51 Abs 1 SGB V gesetzten Frist den Antrag nicht, entfällt der Anspruch auf Krankengeld gemäß § 51 Abs 3 SGB V mit Ablauf der Frist. Beachten Sie daher bitte, dass uns der Antrag bis spätestens am 31.01.2013 zugegangen sein muss, weil wir sonst mit diesem Tag die Zahlung des Krankengeldes einstellen müssen.“ Wegen des weiteren Inhalts des Schreibens wird auf Seite 32 f der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin, vertreten durch ihren damaligen Bevollmächtigten, am 30.11.2012 Widerspruch ein. Sie machte geltend, die Aufforderung, einen Reha-Antrag zu stellen, setze die Ausübung von Ermessen voraus. Daran fehle es. Bei dem Schreiben der Beklagten handele es sich bekanntermaßen um ein Standardschreiben. Daraufhin erläuterte die Beklagte mit einem an den Bevollmächtigten gerichteten Schreiben vom 05.12.2012 ihren Standpunkt und führte aus, in Abwägung der Gesamtumstände sei sie der Auffassung, dass eine psychosomatische Rehabilitationsmaßnahme ein geeignetes Mittel sei, die drohende Erwerbsminderung abzuwenden. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.06.2013 zurückgewiesen. Darin wird ua ausgeführt, es liege im besonderen Interesse der Solidargemeinschaft, aber auch im Interesse der Kläger...

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