2.1.1 Aufrechnungslage ohne Gegenseitigkeit

 

Rz. 6

Die Regelung der Verrechnung knüpft daran an, dass ein Sozialleistungsträger zu einer Geldleistung an einen Sozialleistungsberechtigten verpflichtet ist und gegen den Berechtigten eine Geldforderung besteht. Hiermit wird deutlich, dass die Verrechnung auch ein Rechtsinstitut zur Erfüllung dieser Sozialleistungsansprüche in Abweichung von der Erfüllung nach § 47 darstellt. Das Rechtsinstitut der Verrechnung steht lediglich den Sozialleistungsträgern zur Verfügung; der Geldleistungsberechtigte kann seine Ansprüche gegen einen Sozialleistungsträger nicht mit gegen ihn bestehenden Forderungen eines anderen Trägers verrechnen, sondern lediglich die Zahlung an seinen Gläubiger verlangen.

 

Rz. 7

Da die Verrechnung lediglich ein Sonderfall der Aufrechnung ist, ist Voraussetzung das Bestehen einer Aufrechnungslage von wechselseitigen und fälligen Geldleistungsansprüchen (vgl. Komm. zu § 51). An den Aufrechnungsvoraussetzungen des § 51 darf es nur an der Gegenseitigkeit (Personenidentität) des Forderungsinhabers fehlen. Dem Sozialleistungsberechtigten muss ein Zahlungsanspruch gegenüber einem Sozialleistungsträger zustehen und gegen ihn muss eine fällige Forderung eines anderen Sozialleistungsträgers bestehen.

 

Rz. 8

Sowohl der leistungspflichtige als auch der anspruchsberechtigte Träger müssen eigenständige Sozialleistungsträger i.S.d. § 12 i.V.m. §§ 18ff. sein. Verschiedene Dienststellen/Abteilungen eines Sozialleistungsträgers können die Aufrechnung nach § 51 erklären. Eine insoweit irrtümlich erklärte Verrechnung lässt sich jedoch in eine Aufrechnung umdeuten. Eine Verrechnung zugunsten anderer Behörden ist auch bei öffentlich-rechtlichen Forderungen (Gebühren, Abgaben, Steuern, Bußgeldern etc.) nicht möglich. Dies dürfte auch dann gelten, wenn die Behörde funktionell zugleich auch Sozialleistungsträger ist.

2.1.2 Ermächtigung zur Verrechnung

 

Rz. 9

Entsprechend der Funktion der Verrechnung, die wie die Aufrechnung Surrogat für die Erfüllung der Geldleistung des leistungspflichtigen Leistungsträgers ist, wird vorausgesetzt, dass dieser zur Verrechnung ermächtigt ist. Nach der gesetzlichen Intention erscheint es so, als habe der leistungspflichtige Träger sich die Ermächtigung zu beschaffen. In der Praxis ist es dagegen so, dass die anspruchsberechtigten Leistungsträger bei dem geldleistungspflichtigen Sozialleistungsträger um Verrechnung ihrer Forderungen gegen den Berechtigten ersuchen. In diesem Verrechnungsersuchen ist die Ermächtigung des geldleistungsberechtigten Leistungsträgers zur Verrechnung enthalten. Das Verrechnungsersuchen wie die Ermächtigung selbst hat gegenüber dem Sozialleistungsberechtigten keine Außenwirkung und kann von diesem nicht unmittelbar angegriffen werden. Das Verrechnungsersuchen vollzieht sich zwischen den Sozialleistungsträgern und ist wegen deren Gleichordnung kein Verwaltungsakt.

 

Rz. 10

Die Ermächtigung bedeutet inhaltlich, dass der ersuchte Sozialleistungsträger mit Zustimmung des materiell berechtigten Sozialleistungsträgers im eigenen Namen über ein fremdes Recht verfügt (§ 185 BGB), indem er diesen Anspruch durch Aufrechnung mit seiner Hauptforderung zum Erlöschen bringt. Allerdings wird aufgrund der Notwendigkeit der Bezeichnung des Gegenanspruchs bei der Verrechnung dem Sozialleistungsberechtigten gegenüber offengelegt, dass hier keine eigenen Rechte des verrechnenden Leistungsträgers, sondern Rechte Dritter geltend gemacht und zur Auf-/Verrechnung gestellt werden. Durch die Verrechnung wird zugleich auch über den eigenen Sozialleistungsanspruch verfügt, indem dieser dem Berechtigten gegenüber erlischt. Insoweit liegt nicht nur eine Verfügung über ein fremdes Recht vor.

 

Rz. 11

Die Ermächtigung als einseitige empfangsbedürftige Erklärung ist an keine Formvorschriften gebunden und kann auch konkludent wirksam werden. Die Höhe und der Rechtsgrund der Forderung gegen den Sozialleistungsberechtigten müssen dabei angegeben sein, schon um die Höhe des Aufrechnungsbetrags ermitteln und die ganz oder teilweise erlöschende Gegenforderung bestimmen zu können. Sie kann auch dahin gehen, dass nur ein Teil der an sich nach § 51 pfändbaren Sozialleistung und auch mit künftigen laufenden Sozialleistungsansprüchen verrechnet werden soll.

 

Rz. 12

Die Ermächtigung hat vor der Verrechnung zu erfolgen, was zumeist schon deshalb erforderlich ist, um eine vollständige Auszahlung der Sozialleistung zu verhindern. Ob eine nachträgliche Genehmigung einer ohne Ermächtigung vorgenommenen Verrechnung möglich ist, ist umstritten. Da aber spätestens in der Genehmigung der Verrechnung konkludent auch die Ermächtigung liegt, könnte der leistungspflichtige Träger einem Auszahlungsbegehren oder einer Leistungsklage des Sozialleistungsberechtigten wegen vermeintlich nicht erfolgter oder unwirksamer Verrechnung durch eine wiederholte Verrechnungserklärung die Erfüllung durch Verrechnung entgegenhalten, da auch diese neuerliche Verrechnungserklärung wie eine Aufrechnung auf den Zeitpunkt der Aufrechnungslage zurückwirkt (§ 389 BGB).

 

Rz. 13

Durch die Er...

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