Rz. 6

Abweichend zur Formulierung in § 15b Satz 1 BSHG enthält Abs. 1 Satz 1 eine enumerative Aufzählung von Leistungstatbeständen und nicht mehr den allgemeinen Begriff der laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt. Hierdurch ist klargestellt, welche laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt bei vorübergehender Notlage als Darlehen in Betracht kommen. Es muss also zunächst mutmaßlich überhaupt ein Anspruch auf eine der genannten Leistungen bestehen.

 

Rz. 7

Der Anspruch auf die genannten Hilfen darf "voraussichtlich nur für kurze Dauer" gegeben sein. Es handelt sich dabei um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Voraussetzungen gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar sind. Von Bedeutung ist insoweit das Merkmal "voraussichtlich" sowie die nähere Konkretisierung des Begriffs der "kurzen Dauer".

 

Rz. 8

Was als "kurz" i. S. d. Gesetzes anzusehen ist, kann nicht losgelöst vom Einzelfall als starre Zeitgrenze definiert werden. Zu berücksichtigen sind immer die Umstände des Einzelfalles. Als zeitliche Obergrenze dürfte aber ebenso wie im Rahmen von § 32 Abs. 2 Satz 2 (vgl. Komm. dort) i. d. R. ein Zeitraum von etwa 6 Monaten anzusehen sein. Dies steht auch im Einklang mit der Entstehungsgeschichte der Vorschrift (vgl. H. Schellhorn, in: Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl. 2015, § 38 Rn. 6 m. w. N. unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 9/842 S. 86). Die Regelung des § 87 Abs. 2 Satz 1 steht dem nicht entgegen. Zwar wird auch dort der Begriff der kurzen Dauer verwendet. Die dortige Regelung hat aber einen völlig anderen Anwendungsbereich als die §§ 32, 38. Dort ist das Bedürfnis an einer schnellen Klärung vorrangig, wohingegen es hier um die Abgrenzung der dauernden von der vorübergehenden Hilfebedürftigkeit geht. Als kurz ist die voraussichtliche Dauer des Leistungsbezuges auch dann nicht anzusehen, wenn schon über einen längeren Zeitraum Leistungen bezogen wurden und währenddessen absehbar wird, dass in Kürze die Hilfebedürftigkeit entfallen wird (z. B. Anspruch auf bedarfsdeckende Altersrente, Erbschaft o. ä.). § 38 meint nur Fälle, in denen der Leistungsbezug insgesamt nur als kurzzeitig anzusehen ist (str.; wie hier: H. Schellhorn, a. a. O., Rz. 9; a. A. VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 22.1.1992, 6 S 3004/90; vgl. auch Rz. 16 und Rz. 19). Ausgeschlossen sind damit insbesondere sog. Kettendarlehen, die zwar nicht für sich genommen, aber insgesamt den Zeitraum von 6 Monaten deutlich überschreiten (vgl. Becker, in: jurisPK-SGB XII, Stand: 5.1.2016, § 38 Rz. 25. m. w. N.). Dass die Gegenansicht nicht zutreffend sein kann, ergibt sich schon aus der Überlegung, dass danach im Grunde standardmäßig vor Beginn jeder (bedarfsdeckenden) Altersrente die Gewährung von Leistungen nach dem Dritten Kapitel auf darlehensweise Gewährung umgestellt werden müsste.

 

Rz. 9

Der Begriff "voraussichtlich" verlangt eine Prognoseentscheidung des Sozialhilfeträgers im Zeitpunkt der Entscheidung über die Hilfegewährung (zu Einzelheiten vgl. Rz. 10). Kommt der Sozialhilfeträger im Rahmen dieser Beurteilung zu dem Ergebnis, dass voraussichtlich dauerhaft Leistungen zu gewähren sind, liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht vor. Stellt sich nachträglich heraus, dass der Bedarf doch nur vorübergehend i. S. v. Rz. 8 war, kann die Entscheidung nicht nachträglich abgeändert werden. Dies gilt schon aus verfahrensrechtlichen Gründen. Danach ist der Leistungsträger verpflichtet, bereits bei der Bewilligung der Leistung darauf hinzuweisen, ob die Leistung als Darlehen oder als Zuschuss gewährt wird. Maßgeblicher Zeitpunkt für die zu treffende Prognose ist der Erkenntnisstand bei der (letzten) Verwaltungsentscheidung im Hinblick auf die zu Beginn der darlehensweisen Sozialhilfegewährung zu erwartenden Umstände (Bay. LSG, Beschluss v. 15.10.2008, L 8 B 753/08 SO ER unter Hinweis auf OVG Lüneburg, Beschluss v. 10.11.1997, 12 L 878/97; ähnlich Falterbaum, in: Hauck/Notz, SGB XII, Stand: Erg.-Lfg. 3/18 VII/18, K § 38 Rz. 16; Streichsbier, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 38 Rz. 5).

 

Rz. 10

Es kann sich die Frage stellen, was zu geschehen hat, wenn die Prognoseentscheidung unzutreffend gewesen ist. Dabei ist zu differenzieren, ob eine fehlerhafte Prognose – unvertretbare bzw. falsche Prognoseentscheidung aus der Sicht ex ante – oder eine Fehlprognose – es stellt sich nachträglich heraus, dass die als solches vertretbare Prognose über die Kurzzeitigkeit des Leistungsbezuges nicht zutreffend war – vorlag (zu den Begriffen: Armborst, in: LPK-SGB XII, 11. Aufl. 2018, § 38 Rz. 9 f.). Gegen eine fehlerhafte Prognoseentscheidung kann der Hilfebedürftige mit Widerspruch und Klage vorgehen und so deren Richtigstellung – die Gewährung von Leistungen als Zuschuss – erlangen. Nach Bestandskraft ist die Richtigstellung noch über § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu erreichen. Im Falle einer Fehlprognose (zulasten des Hilfebedürftigen) kann jedenfalls ab deren Erkennbarkeit das Darlehen in einen Zuschuss umgewandelt werden (§ 48 SGB X). ...

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