2.1.5.1 Verfassungsrechtliche Vorgaben

 

Rz. 10

Nach Abs. 1 Satz 2 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe in mehrerlei Hinsicht die Selbständigkeit der freien Jugendhilfe zu achten. Die freien Träger sind in der Zielsetzung, bei der Durchführung der Aufgaben und in der Gestaltung ihrer Organisationsstruktur autonom. Damit erfüllt der Gesetzgeber verfassungsrechtliche Vorgaben. Denn die freien Träger sind Träger von Grundrechten. Das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG umfasst gerade auch die Tätigkeit der freien Träger, die sich dem spezielleren Grundrecht der Berufsausübung aus Art. 12 GG nicht zuordnen lässt. Sie ist vom BVerfG als "Grundrecht der freien karitativen Tätigkeit" deklariert worden (BVerfG, Entscheidung v. 5.8.1966, 1 BvF 1/61). Das Tätigwerden freigewerblicher Träger dürfte eher von Art. 12 GG erfasst werden. Ferner kann das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit freier Träger aus Art. 9 GG tangiert sein. Bei kirchlichen und sonstigen religiös geprägten Trägern steht das Tätigwerden vielfach im Zusammenhang mit der Religionsausübung, daher ist das Grundrecht aus Art. 4 GG berührt (BVerfG, Entscheidung v. 16.10.1968, 1 BvR 241/66 in Bezug auf eine Vereinigung der katholischen ländlichen Jugend Deutschlands). Bei Trägern aus dem Bereich der Caritas und der Diakonie ist das kollektive Selbstverwaltungsrecht der Kirchen aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung betroffen. Wegen der organisatorischen Verbindung mit der jeweiligen Amtskirche sind sie der jeweiligen Religionsgemeinschaft zuzuordnen (BVerfG, Beschluss v. 25.3.1980, 2 BvR 208/76 in Bezug auf Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft; BVerfG, Beschluss v. 17.2.1981, 2 BvR 384/78 in Bezug auf eine Einrichtung der Inneren Mission).

2.1.5.2 Selbständigkeit der Zielsetzung

 

Rz. 11

Die freien Träger haben das Recht, Konzeptionen und Arbeitsweisen selbst zu bestimmen. Dabei wird freilich durch die den öffentlichen Trägern obliegende Gesamtverantwortung der Rahmen vorgegeben. Denn die Gesamtverantwortung erstreckt sich auf die Tätigkeit der öffentlichen und der freien Träger (BVerfG, Entscheidung v. 18.7.1967, 2 BvF 3/62 u. a.). Sie schließt die Planungsverantwortung und die Strukturverantwortung ein. Danach ist Aufgabe der öffentlichen Träger zu gewährleisten, dass die Leistungen und die dafür erforderlichen Einrichtungen rechtzeitig und in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. Innerhalb dieses Rahmens sind die freien Träger indes weitgehend autonom.

2.1.5.3 Selbständigkeit bei der Durchführung der Aufgaben

 

Rz. 12

Auch bei der Durchführung der Aufgaben wird ein Spannungsverhältnis durch das Prinzip der Gesamtverantwortung der öffentlichen Träger auf der einen und die Autonomie der freien Träger aufgezeigt. Zur Gesamtverantwortung gehört sowohl die Letztverantwortlichkeit der öffentlichen Träger für die Aufgabenerfüllung und die Bereitstellung von Einrichtungen (vgl. § 79 Abs. 2) als auch die Verantwortung für die zweckentsprechende Verwendung öffentlicher Mittel. Letzteres stellt § 17 Abs. 3 Satz 3 SGB I klar. Die Art und Weise der Durchführung der jeweiligen Maßnahme bestimmen jedoch die freien Träger autonom. Ihre Rechenschaftspflicht ist nach Maßgabe des § 17 Abs. 3 Satz 4 SGB I i. V. m. § 97 Abs. 2 SGB X eingeschränkt. Danach finden die Vorschriften des SGB X über die Rechenschaftspflichten des beauftragten Trägers gegenüber dem Auftraggeber keine Anwendung. Stattdessen gelten die bereichsspezifischen Regelungen des SGB VIII.

2.1.5.4 Selbständigkeit in der Gestaltung der Organisationsstruktur

 

Rz. 13

Die freien Träger haben eine von den öffentlichen Trägern der Jugendhilfe unabhängige und eigenständige Organisationsstruktur. Sie entscheiden eigenständig und aufgrund eigener Arbeitgeberbefugnis über die personelle Besetzung und die Organisation der von ihnen betriebenen Einrichtungen. Dies ist soweit unumstritten. Hingegen wird unterschiedlich beurteilt, wie weit die Weisungsbefugnis des öffentlichen Trägers aufgrund seiner Gesamtverantwortung in die Organisationsstruktur und die Arbeitgeberbefugnisse der freien Träger eingreifen darf. Die Literatur (Papenheim, in: LPK-SGB VIII, § 4 Rz. 26a und 28; Kunkel, ZfJ 2000 S. 60) sieht Absprachen oder Vereinbarungen, die dem öffentlichen Träger ein Mitspracherecht bei der Personalauswahl oder Weisungs-, Auskunfts- oder Kontrollrechte gegenüber Mitarbeitern eines freien Trägers einräumen, wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 grundsätzlich als unzulässig und unwirksam an. Das BAG (Urteil v. 6.5.1998, 5 AZR 347/97) hat eine Vereinbarung zwischen dem öffentlichen Träger und einem freien Träger der sozialpädagogischen Familienhilfe als wirksam angesehen, welche weitgehende Weisungsbefugnisse des öffentlichen Trägers im Einzelfall vorsieht. Das BAG ist sogar von einer Aufspaltung der Arbeitgeberfunktionen auf den freien und den öffentlichen Träger ausgegangen und hat ein Einzelweisungsrecht des zuständigen Sozialarbeiters des öffentlichen Jugendhilfeträgers angenommen. In einer vorangehenden Entscheidung (BAG, Urteil v. 11.6.1997, 7 AZR 487/96) hat das BAG ein Weisungsrecht des öffentlichen Trägers im Rahmen der Fachaufsicht bejaht. In einer verw...

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