Rz. 48

Für die Eingliederungshilfe gelten die §§ 90 ff. SGB IX und § 35a SGB VIII. Während das SGB VIII nur Kinder und Jugendliche (ggf. auch junge Volljährige nach Maßgabe des § 41 SGB VIII) mit seelischer oder drohender seelischer Behinderung erfasst, insoweit aber im Leistungsrecht weitestgehend auf das SGB IX verweist (dazu Eicher, Jugendhilfe 2023, 144; Eicher, Das Rehabilitationsrecht nach Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes, 2. Aufl. 2023, 67 ff.), werden die Leistungen der Eingliederungshilfe für alle anderen Personen nach dem SGB IX erbracht (zur beschlossenen Zusammenlegung für junge Menschen im SGB VIII vgl. Eicher, SRa 2023, 219, und Eicher, Jugendhilfe 2023, 138; vgl. auch unter Rz. 87a Reformbestrebungen; vgl. auch Eicher, jurisPR-SozR 1/2024 Anm. 4; vgl. auch die Komm. zu § 108).

 

Rz. 48a

Für das Verhältnis zwischen Leistungen des SGB VIII und den Leistungen nach dem SGB IX und dem SGB XII hält § 10 Abs. 4 eine Regelung bereit. Danach gehen grundsätzlich die Leistungen der Jugendhilfe diesen Leistungen vor – § 10 Abs. 4 Satz 1 (grundlegend zum Konkurrenzverhältnis zwischen sozialhilferechtlicher und jugendhilferechtlicher Eingliederungshilfe vgl. BVerwG, Urteil v. 19.10.2011, 5 C 6/11; BSG, Urteil v. 24.3.2009, B 8 SO 29/07 R; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 18.6.2012, L 20 SO 12/09). Die Leistungen nach dem SGB VIII schließen aber die des SGB IX nicht aus, sondern sind nur vorrangig zu erbringen (§ 10 Abs. 4 Satz 1). Vorrang bedeutet hier, dass Leistungen nach dem SGB IX nur ausgeschlossen sind, soweit Leistungen nach dem SGB VIII nicht erbracht werden (Eicher, jurisPR-SozR 1/2024 Anm. 4). Dabei kann sich ein durch den Betroffenen angegangenes Gericht der Sozialgerichtsbarkeit in zulässiger Weise für eine Verweisung des Rechtsstreits auf die Vorschrift des § 10 Abs. 4 Satz 1 stützen, wenn es den Ausgangsrechtsstreit an das zuständige Verwaltungsgericht abgibt. Dies stellt weder eine Verletzung der Rechtsschutzgarantie nach Art. 19 Abs. 4 GG noch eine Verletzung des Diskriminierungsverbots nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG dar (BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 14.2.2016, 1 BvR 3514/14).

 

Rz. 48b

Ist in einem Bundesland – wie in Baden-Württemberg – dieselbe Behörde sowohl für Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß §§ 90 ff. SGB IX als auch für die Eingliederungshilfe nach § 35a zuständig, bereitet die Bestimmung des Rechtsweges Probleme. Während für die Eingliederungshilfe nach § 35a der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist (§ 40 Abs. 1 VwGO), müssen Entscheidungen über die Eingliederungshilfe nach dem SGB IX vor den Sozialgerichten angegriffen werden (§ 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG). Die Entscheidung nach Entstehung einer umfassenden Zuständigkeit nach den §§ 14 f. SGB IX (dazu Eicher, NZS 2022, 601, 602 f.; ders., Das Rehabilitationsrecht nach Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes, 2. Aufl. 2023, 74 ff.) richtet sich daher letztlich danach, was Inhalt des angegriffenen Bescheides ist. Ist daher Gegenstand eines solchen die Eingliederungshilfe nach dem SGB IX, dann ist zwingend das Sozialgericht zuständig, welches dann auch über die eventuellen Ansprüche nach § 35a mitentscheidet (§ 17 Abs. 2 GVG; so zutreffend: Eicher, jurisPR-SozR 1/2024 Anm. 4).

 

Rz. 49

Nach § 10 Abs. 4 Satz 2 gehen jedoch abweichend von Satz 1 Leistungen nach § 27a Abs. 1 i. V. m. § 34 Abs. 6 SGB XII und Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach diesem Buch vor. Dabei handelt es sich um keine Ausnahme vom Grundsatz des § 10 Abs. 4 Satz 1, sondern um eine klarstellende Regelung, da das SGB VIII keine Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, bereitstellt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 10.10.2012, L 12 SO 621/10; VG Düsseldorf, Urteil v. 14.5.2003, 19 K 3248/03).

 

Rz. 50

Im Gegenschluss aus § 10 Abs. 4 Satz 2 ergibt sich, dass es für seelisch behinderte junge Menschen i. S. d. § 35a grundsätzlich beim Vorrang der Jugendhilfe aus § 10 Abs. 4 Satz 1 verbleibt. Abgrenzungsprobleme ergeben sich namentlich bei Mehrfachbehinderungen (instruktiv: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 31.1.2011, L 8 SO 366/10 B ER; zur Problematik vgl. auch Wiesner, § 35a SGB VIII Rz. 37), wenn sowohl eine geistige oder körperliche als auch seelische Behinderung des Kindes vorliegt. Teilweise stellt die Rechtsprechung in solchen Fällen auf den Schwerpunkt der Behinderung und damit auf die überwiegende Behinderungsart ab (VG Gießen, Beschluss v. 29.8.2003, 5 G 2841/03; hierzu auch Wiesner, § 35 a SGB VIII Rz. 41). Teilweise räumt die Rechtsprechung bei Vorliegen einer geistigen und einer seelischen Behinderung des Kindes oder Jugendlichen nach § 10 Abs. 4 Satz 2 den anderweitigen Maßnahmen generell den Vorrang vor der Eingliederungshilfe nach § 35a ein (ohne weitere Begründung BayVGH, Beschluss v. 1.1...

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