0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

§ 34 ist derzeit i. d. F. der Bekanntmachung v. 11.9.2012 (BGBl. I S. 2022) seit 1.1.2012 in Kraft. Die Heimerziehung ist neben der Vollzeitpflege eine der klassischen Jugendhilfeformen. Sie ist wie § 33 eine stationäre Hilfe, welche eine Fremdunterbringung des Kindes oder Jugendlichen regelt. Im früheren Recht war diese lediglich im allgemeinen Katalog des § 5 Abs. 1 Satz 3 JWG enthalten, i. V. m. § 6 JWG auch als Hilfe zur Erziehung ausgestaltet. Daneben sah § 69 Abs. 3 JWG die Heimerziehung auch als überörtliche Fürsorgeerziehung vor. Inzwischen ist die Heimerziehung, ergänzt um die sich in der Praxis herausgebildete sonstige betreute Wohnform als eigenständige Leistung im Rahmen der Hilfe zur Erziehung geregelt. Eingefügt wurde § 34 SGB VIII durch das Gesetz zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts (Kinder- und Jugendhilfegesetz – KJHG) v. 26.6.1990 (BGBl. I S. 1163). Im Gesetzesentwurf war die Vorschrift noch stark von den Debatten und der Kritik um die Heimerziehung geprägt, daneben auch von den inzwischen vielfältigen neuen Formen der Heimerziehung. Demzufolge wurde der Begriff "Heimerziehung" im Entwurf vermieden und stattdessen nur die Bezeichnung "Erziehung in einer Einrichtung über Tag und über Nacht" verwendet (vgl. BT-Drs. 11/5948 S. 72). Diese Hilfeform sollte nicht mit dem Begriff "Heimerziehung", den dazu entstandenen Vorurteilen und den dazu entwickelten Assoziationen belastet werden. Gegenüber dem JWG mit dem eingriffs- und ordnungspolitischem Charakter hat der Gesetzgeber mit dem KJHG ein präventivorientiertes Leistungsgesetz geschaffen und damit die Grundkonzeption des JWG, das noch auf dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922 zurückgeht, aufgegeben. Der Gesetzgeber hat damit auch gerade mit § 34 dem grundlegenden Perspektivenwechsel im Jugendhilferecht Ausdruck verliehen (vgl. grundlegend, BT-Drs. 11/5948 S. 1, 42; Stellungnahme der Bundesregierung im Siebten Jugendbericht; BT-Drs. 10/6730 S. XI; vgl. insgesamt auch die Komm. zu § 27 unter Rz. 1). Durch das 1. SGB VIII-ÄndG v. 16.2.1993 wurde die Vorschrift neu gefasst (BGBl. I S. 239; vgl. auch BT-Drs. 12/2866 S. 3 f.). Insbesondere wurde die dauerhafte Heimerziehung durch die Neufassung der Nr. 3 in ihrer Bedeutung als eigenständige Alternative neben einer Förderung der Rückkehr in die Herkunftsfamilie (Nr. 1) und der Vorbereitung der Erziehung in einer anderen Familie (Nr. 2) gestärkt. Dies geschah vor dem Hintergrund der inzwischen verbesserten Erziehungsbedingungen in den Heimen. Im Übrigen gilt die Vorschrift i. d. F. des 1. SGB VIII-ÄndG v. 16.2.1993 in unveränderter Form bis heute fort. Es erfolgten dann nur noch diverse Neubekanntmachungen, die die Vorschrift aber unverändert ließen, so durch die Neufassung des Achten Buches Sozialgesetzbuch v. 3.5.1993 ab 1.4.1993 (BGBl. I S. 637), durch die Neufassung des Achten Buches Sozialgesetzbuch v. 15.3.1996 ab 1.1.1996 (BGBl. I S. 477), durch die Neufassung des Achten Buches Sozialgesetzbuch v. 8.12.1998 ab 1.7.1998 (BGBl. I S. 3546), durch die Neufassung des Achten Buches Sozialgesetzbuch v. 14.12.2006 ab 1.1.2007 (BGBl. I S. 3134) und eben zuletzt durch die Neufassung des Achten Buches Sozialgesetzbuch v. 11.9.2012 ab 1.1.2012 (BGBl. I S. 2022).

1 Allgemeines

 

Rz. 2

Historisch hat sich die Heimerziehung im Wesentlichen aus zwei unterschiedlichen Ansätzen entwickelt. Einerseits hat sie karitativen und armenrechtlichen Charakter, z. B. im Fall der früheren, häufig kirchlichen "Waisenhäuser", andererseits hat sie strafrechtliche Wurzeln, namentlich die sog. "Arbeitshäuser". Die Zweiteilung fand bereits ihren Niederschlag im Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922, wo zwischen Fürsorgeerziehung und Hilfe zur Erziehung unterschieden wurde. Etwa Mitte der 1960er Jahre wurde zunehmend Kritik an den Lebens- und Erziehungsbedingungen der Heime laut. Insbesondere in den 1970er Jahren wurden unter starker öffentlicher Anteilnahme in den Heimkampagnen die oftmals erschreckenden Lebensbedingungen auch vor dem Hintergrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse aus Pädagogik und Entwicklungspsychologie debattiert. Hauptkritikpunkte waren die anonymen und beziehungsarmen Angebote in den Einrichtungen, welche kaum verlässliche Bezugssysteme anboten, sondern vielfach für soziale Desorientierung und Bindungsstörungen mit Krankheitswerten verantwortlich waren. Die Kritik an den ungeeigneten, herabwürdigenden und willkürlichen Erziehungsmethoden wurde immer stärker. Auch galten die Heime als Instrumente von Repression und bloßer Disziplinierung im Gegensatz zu individueller Förderung (vgl. zur Geschichte und Kritik der Heimerziehung www.wikipedia.org; Stichwort Heimerziehung).

 

Rz. 3

Die Kritik hat einen Entwicklungsprozess in Gang gesetzt. Sichtbarster Ausdruck dieses Wandels seit den 1970er Jahren war das als "explosionsartig" zu bezeichnende Anwachsen unterschiedlicher Betreuungsformen und organisatorischer Arrangement in der Heimerziehung. Es entwickelten sich neue Formen, insbesondere familienähnliche Be...

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