Rz. 67c

Die Ausgestaltung des deutschen Sozialrechts obliegt an sich dem deutschen Gesetzgeber. Sofern sich der Staat zur Leistungserfüllung jedoch Privater bedient und gleichzeitig die Leistungen aus öffentlichen Geldern finanziert, ist immer auch sowohl an das nationale als auch an das unionsrechtliche Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht zu denken (vgl. v. Boetticher/Münder, in: Münder u. a., FK-SGB VIII, § 74 Rz. 36). An sich stehen das Sozialrecht und das Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht also nebeneinander und schließen sich keineswegs gegenseitig aus (vgl. ausführlich zu dem gesamten Thema Münder, a. a. O., Rz. 35 ff.).

 

Rz. 67d

Die Anwendbarkeit des nationalen Wirtschaftsrechts und dort insbesondere des Vergaberechts der §§ 97 ff. GWB auf den Bereich des Kinder- und Jugendhilferechts setzt voraus, dass ein öffentlicher Auftrag vergeben wird. Die Leistungen nach § 74 stehen aber nicht in einem direkten marktmäßigen Austauschverhältnis zueinander, sodass insofern nicht von einem zweiseitigen vertraglichen Austauschverhältnis gesprochen werden kann (so auch Wiesner, SGB VIII, § 74 Rz. 54). Am 28.3.2014 sind jedoch die neuen EU-Vergaberichtlinien (Richtlinien 2014/24/EU, 2014/25/EU, 2014/23/EU) im EU-Amtsblatt veröffentlicht worden und am 17.4.2014 in Kraft getreten. Diese müssen innerhalb von 2 Jahren (also bis zum 18.4.2016) in das nationale Recht umgesetzt werden. Es wird insofern voraussichtlich auf eine umfassende Vergaberechtsmodernisierung hinauslaufen mit noch unklaren Folgen für die Leistungserbringung im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe.

 

Rz. 67e

Neben dem Vergaberecht könnte auch das EU-Beihilfenrecht Anwendung auf die Vergabe von Leistungen im Rahmen von § 74 finden. Entscheidend dafür ist Art. 107 Abs. 1 AEUV. Sofern also Beihilfen aus staatlichen Mitteln gewährt werden, wodurch ein bestimmtes Unternehmen begünstigt wird und es zu einer Wettbewerbsverzerrung kommt, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt, ist das europäische Beihilfenrecht grundsätzlich anwendbar (vgl. Wiesner, § 74 Rz. 55). Allerdings müssen die Beihilfen von einem gewissen Gewicht sein und es kann durchaus beihilferechtliche Rechtfertigungsgründe für eine Begünstigung geben (Wiesner, SGB VIII, § 74 Rz. 55). Außerdem gelten die europäischen Beihilferegelungen nicht für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, soweit deren Anwendung sonst die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgaben rechtlich oder tatsächlich verhindern würde (Art. 106 Abs. 2 AEUV). Nach den Mitteilungen der europäischen Kommission (KOM (2011) 9404) fallen jedenfalls Ausgleichzahlungen, die für Dienstleistungen zur Deckung des sozialen Bedarfs z. B. bei der Kindertagesbetreuung und bei der Betreuung und sozialen Einbindung sozial schwacher Bevölkerungsgruppen erbracht werden, nicht unter den Anwendungsbereich des Art. 106 Abs. 2 AEUV (vgl. dazu v. Boetticher/Münder, in: Münder u. a., FK-SGB VIII, § 74 Rz. 47). Entscheidend ist also die Auslegung des Begriffs "Dienstleistungen zur Deckung des sozialen Bedarfs", damit die Leistungen nach § 74 nicht unter Art. 106 Abs. 2 AEUV fallen.

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