Rz. 6

Abs. 1 Satz 1 benennt die Einsichtnahme in die Ausweispapiere als erstes Mittel zur Altersfeststellung. Vielfach kann die betreffende Person jedoch keine Ausweispapiere vorlegen. Dann ist diese Alternative bereits verbraucht. Zur Durchsuchung der betreffenden Person und seines Gepäcks ist das Jugendamt nicht befugt. Für eine solche Zwangsmaßnahme bedürfte es einer spezialgesetzlichen Ermächtigung. Diese fehlt indes. Werden Ausweispapiere vorgelegt, so ist deren Beweiswert zu prüfen. Häufig differieren die Angaben in der Selbstauskunft und die Angaben in den Ausweispapieren hinsichtlich des Geburtsdatums und des Lebensalters des Betreffenden (Kirchhoff, in: Luthe/Nellissen, juris-PK SGB VIII, § 42f Rz. 20 mit Hinweis auf OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 4.3.2013, OVG 6 S 3.13, OVG 6 M 5.13). Die Beweiskraft von Ausweispapieren ist außerdem begrenzt. Die Beweiskraft eines Reisepasses, der weder eine öffentliche Urkunde über Erklärungen i. S. d. § 415 ZPO noch eine öffentliche Urkunde über eine amtliche Anordnung, Verfügung oder Entscheidung i. S. d. § 417 ZPO darstellt, bestimmt sich nach § 418 Abs. 3 ZPO. Danach erbringt er nur insoweit den vollen Beweis für die in ihm bezeugten Tatsachen, als diese auf eigenen Handlungen oder Wahrnehmungen der Urkundsperson beruhen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 30.4.2012, OVG 2 N 16.11 Rz. 4; Geimer, in: Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 418 Rz. 3 m. w. N.). Das Visum stellt eine öffentliche Urkunde i. S. d. § 417 ZPO dar, erbringt mithin lediglich Beweis über den Inhalt der getroffenen Entscheidung, nicht aber die ihr zu Grunde liegenden Tatsachen (OVG Berlin-Brandenburg, a. a. O.; Geimer, a. a. O., § 417 Rz. 3). Aus der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung und den dort gewonnenen Erkenntnissen ist bekannt, dass Angaben in Ausweispapieren aus Nigeria (OVG Berlin-Brandenburg, a. a. O.), aus Gambia (OVG Bremen, Beschluss v. 18.11.2015, 2 B 221/15, 2 PA 223/15) und aus Afghanistan (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 29.9.2014, 12 B 923/14) keine Gewähr für die inhaltliche Richtigkeit bieten. Zu prüfen ist in allen Fällen die Übereinstimmung der Altersangaben in vorgelegten Unterlagen mit den mündlichen Angaben des Betroffenen und eventueller Zeugen. Eine Geburtsurkunde aus dem Herkunftsland kann weder die Identität noch die Minderjährigkeit einer Person belegen, da es an der erforderlichen Verbindung zur Person fehlt. Außerdem kommt Geburtsurkunden aus bestimmten afrikanischen Ländern kein belastbarer Beweiswert zu, weil in einem Merkblatt der Deutschen Botschaft in Conakry (Stand: Januar 2019) und auf den aktuellen Internetseiten der Botschaft darauf hingewiesen wird, dass die Voraussetzungen zur Legalisation von öffentlichen Urkunden aus Guinea bis auf weiteres nicht gegeben seien, ein hoher Prozentsatz der vorgelegten Urkunden sei gefälscht, verfälscht oder inhaltlich unrichtig (VG Bremen, Beschluss v. 12.12.2022, 3 V 1881/22).

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt SGB Office Professional . Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge