Rz. 14

Im SGG gilt das Rechtsträgerprinzip (vgl. LSG NRW, Urteil v. 25.02.2008, L 20 SO 31/07, Breithaupt 2008 S. 709). Beteiligtenfähig sind nach § 70 Nr. 3 SGG Behörden nur dann, wenn das Landesrecht dies bestimmt.

 

Rz. 15

Das SGG kennt keine Definition des Begriffs „Behörde”. Bei seiner Auslegung ist zu beachten, in welchem Zusammenhang das Gesetz verwendet und welcher Zweck mit der betreffenden Vorschrift verfolgt wird (Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 70 Rn. 20). Deswegen kann nicht unbesehen an Legaldefinitionen aus anderen Rechtsbereichen angeknüpft werden. Zu unterscheiden ist der engere und der weitere Behördenbegriff. Für das SGG-Verfahren ist der Begriff „Behörde” in einem weiten Sinn zu verstehen (Peters/Sautter/Wolff, a. a. O.). Der weite – funktionale – Behördenbegriff (hierzu OVG Bremen, Beschluss v. 24.8.2011, 1 B 198/11, zu § 1 Abs. 4 BremVwVfG) ist legal definiert in § 1 Abs. 2 SGB X. Behörden sind danach ohne Rücksicht auf ihre konkrete Bezeichnung als Behörde, Dienststelle, Amt oder Ähnliches alle vom Wechsel der in ihnen tätigen Personen unabhängige und mit hinreichender organisatorischer Selbstständigkeit ausgestattete Einrichtungen, denen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung und entsprechende Zuständigkeiten zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung zugewiesen sind, also aufgrund von Vorschriften des öffentlichen Rechts mit der Befugnis zu öffentlich-rechtlichem Handeln mit Außenwirkung ausgestattet sind. Behörden i. S. d. § 1 Abs. 2 SGB X sind somit außer den Verwaltungsbehörden im organisatorischen Sinn auch alle sonstigen Einrichtungen, Organe und Stellen, die aufgrund von Vorschriften des öffentlichen Rechts mit der Befugnis zum Erlass von Verwaltungsakten, zum Abschluss öffentlich-rechtlicher Verträge im eigenen Namen, d. h. nicht nur als Vertreter und mit Wirkung für und gegen eine andere Stelle, oder auch zu sonstigen, nach öffentlichem Recht zu beurteilenden Handeln ausgestattet sind (BSG, Urteil v. 25.11.2010, B 3 KR 1/10 R, Sozialrecht aktuell 2011 S. 102; Urteil v. 9.9.1986, 11a RA 2/85, SozR 1300 § 45 Nr. 26; Urteil v. 8.2.1996, 13 RJ 35/94, SozR 3-1300 § 45 Nr. 27). Auch natürliche oder juristische Personen des Privatrechts können Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen und damit Behörde i. S. d. § 1 Abs. 2 SGB X sein (sog. beliehene Unternehmer). Voraussetzung ist, dass dem Beliehenen die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes durch einen Beleihungsakt (Verwaltungsakt, öffentlich-rechtlicher Vertrag oder Rechtsnorm) übertragen worden sind. Nicht ausgeschlossen wird die Behördeneigenschaft dadurch, dass eine Einrichtung oder Stelle nur für bestimmte, eng begrenzte Zwecke errichtet wird oder ihre Aufgaben nur für eine beschränkte Zeit übertragen werden (Roos, in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 1 Rn. 9 bis 11).

 

Rz. 16

Da Landesrecht nur die Zuständigkeit im Bereich des Landes regeln kann, kann es nicht die Beteiligtenfähigkeit einer Bundesbehörde begründen (BSG, Urteil v. 23.4.2009, B 9 SB 3/08 R, Beschluss v. 28.10.1994, 9 RV 17/94, SozR 3-1500 § 75 Nr. 23; Leitherer, SGG, § 70 Rn. 4 m. w. N.; krit. Zeihe, SGG, § 70 Rn. 8a). Ist das Behördenprinzip landesrechtlich nicht eingeführt, verbleibt es beim Rechtsträgerprinzip (BSG, Urteil v. 23.3.2010, B 8 SO 24/08 R, SozR 4-3500 § 29 Nr. 1).

 

Rz. 17

Von der Ermächtigung des § 70 Nr. 3 haben z. B. folgende Länder Gebrauch gemacht: Nordrhein-Westfalen, § 3 des Gesetzes zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes im Lande Nordrhein-Westfalen (AG-SGG) v. 8.12.1953 (GV. NRW 1953 S. 412/SGV. NRW.304); Saarland, § 9 des Gesetzes zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes v. 18.6.1958 (Amtsbl. Saarland 4743/530); Schleswig-Holstein, § 5 des Schleswig-Holsteinischen Ausführungsgesetzes zum Sozialgerichtsgesetz v. 3.9.1953 i. d. F. d. Bekanntmachung v. 4.8.1965 (GVOBl. Schl.-H. S. 53).

 

Rz. 18

Diese Ermächtigung führt in der Rechtspraxis zu erheblichen Problemen. Diese rühren daher, dass die Beteiligtenfähigkeit nicht hinreichend von der Prozessführungsbefugnis abgegrenzt wird (hierzu eingehend Straßfeld, SGb 2010 S. 510).

 

Rz. 19

Der 8. Senat des BSG ist in ständiger Rechtsprechung der Auffassung, dass unabhängig von der jeweiligen Beteiligtenstellung ausschließlich die Behörde, nicht aber der Rechtsträger, dessen Aufgaben die Behörde wahrnimmt, die "richtige" Beteiligte ist, sofern der Landesgesetzgeber den Landesbehörden die Beteiligtenfähigkeit nach § 70 Nr. 3 zuerkannt hat (Urteil v. 16.12.2010, B 8 SO 7/09 R, SozR 4-3500 § 28 Nr. 6).

 

Rz. 20

Der 14. Senat des BSG meint hingegen, keinen Anlass für eine Rubrumsberichtigung zu haben, wenn eine Optionskommune als Leistungsträger nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II bei Streitigkeiten betreffend Leistungen nach dem SGB II als Beklagte im Rubrum erfasst gewesen ist, obwohl nach den jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften die Behörden der Optionskommunen – der Bürgermeister oder der Landrat – i. S. v. § 70 Nr. 3 beteiligtenfähig waren (Urteil v. 19.9.2008, B 14 A...

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