Rz. 38

Wiedereinsetzung wird grundsätzlich auf Antrag, kann aber auch von Amts wegen gewährt werden, wenn ein Wiedereinsetzungsgrund offensichtlich oder glaubhaft ist und die versäumte Rechtshandlung nachgeholt wird. Die Gründe für die Wiedereinsetzung sollen gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 glaubhaft gemacht werden. Glaubhaftmachung bedeutet, dass nicht die beim Vollbeweis geforderte mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gegeben sein muss, sondern dass die überwiegende Wahrscheinlichkeit ausreicht (BSG, Beschluss v. 21.8.2000, B 2 U 230/00 B, SozR 3-1500 § 67 Nr. 19). In der Wahl der Beweismittel und der Form der Beweisführung ist das Gericht bei der Glaubhaftmachung freier als beim Vollbeweis. Es gilt der Amtsermittlungsgrundsatz (BSG, Urteil v. 23.8.1957, 9 RV 18/56, BSGE 6 S. 1). Häufig werden zur Glaubhaftmachung Auskünfte unbeteiligter Behörden vorgelegt. Anwälte treten dem Verschuldensvorwurf oft mit der Vorlage eidesstattlicher Versicherungen ihrer Mitarbeiter/innen entgegen. Während die eidesstattliche Versicherung eines Beteiligten mit einer gewissen Zurückhaltung zu bewerten ist, gilt dies nicht von vornherein für die eidesstattliche Versicherung eines Rechtsanwalts selbst über seine berufliche Tätigkeit. Ihr Beweiswert kann aber gemindert sein, wenn ohne eine Wiedereinsetzung Regressansprüche des Mandanten in Betracht kommen (BSG, Beschluss v. 21.8.2000, B 2 U 230/00 B, SozR 3-1500 § 67 Nr. 19).

Werden die (gegen das Vergessen einer lediglich mündlichen Anweisung) getroffenen organisatorischen Vorkehrungen nicht mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist vorgetragen und glaubhaft gemacht, ist ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) zu vermuten und der Antrag zurückzuweisen (BGH, Beschluss v. 4.11.2003, VI ZB 50/03, NJW 2004 S. 688).

 

Rz. 39

Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Berechnung der Frist richtet sich nach § 64 SGG. Das Hindernis ist weggefallen, wenn der Beteiligte wieder fähig ist, Verfahrenshandlungen vorzunehmen, oder zu dem Zeitpunkt, in dem der Beteiligte die Fristversäumnis erkennt oder bei gebotener Sorgfalt, etwa weil er anhand einer Empfangsbestätigung des Gerichts den verspäteten Eingang hätte erkennen können. Ist das Hindernis vor Fristablauf weggefallen, gibt § 67 nicht etwa eine weitere Monatsfrist. Es kommt vielmehr darauf an, ob in der verbliebenen Zeit eine Fristwahrung noch möglich war. Dabei muss unter Umständen auch ein angemessener Zeitraum für Beratung und Überlegung eingerechnet werden (vgl. BSG, Urteil v. 29.10.1987, 11b RAr 68/86, SozR 1500 § 67 Nr. 19).

 

Rz. 40

Nach der Ausschlussfrist des § 67 Abs. 3 ist eine Wiedereinsetzung nach einem Jahr seit Ende der versäumten Frist nur noch im Fall der höheren Gewalt möglich (zur Verfassungsmäßigkeit vgl. BVerwG, Urteil v. 11.5.1979, 6 C 70/78, BVerwGE 58 S. 100, 104). Darunter sind nicht nur nicht beeinflussbare äußere Ereignisse zu verstehen, sondern jedes Geschehen, das auch durch die größtmögliche, von dem Betroffenen unter Berücksichtigung seiner Lage, Bildung und Erfahrung vernünftigerweise zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte (BSG, Urteil v. 25.3.2003, B 1 KR 36/01 R, SozR 4-1500 § 67 Nr. 1). Das nimmt das BSG für den Fall an, dass die Fristversäumnis durch eine falsche oder irreführende Auskunft oder Belehrung oder sonst durch ein rechts- oder treuwidriges Verhalten der Verwaltungsbehörde verursacht wurde. Dabei muss ein Versicherungsträger Auskünfte und Ratschläge zu Versicherungsfragen gegen sich gelten lassen, mit denen er sich selbst oder ein Verband, dem er angehört, über die Medien an die Öffentlichkeit gewendet hat (BSG, a. a. O.). Einen Fall höherer Gewalt kann auch eine die Willensbildung ausschließende schwere Krankheit darstellen (Zeihe, SGG, § 67 Rn. 28b). Auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erst nach Ablauf der Jahresfrist zählt hierzu.

 

Rz. 41

Zuständig für die Entscheidung ist das Gericht, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat. Ist die Klagefrist versäumt, entscheidet somit das Sozialgericht. Das Gericht hat ausdrücklich über die Wiedereinsetzung zu befinden (vgl. BSG, Beschluss v. 2.7.2007, B 2 U 41/07 B, SozR 4-1500 § 67 Nr. 4 Rn. 3, hierzu Reyels, jurisPR-SozR 20/2007 Anm. 6). Das kann vorab durch Beschluss oder durch eine Entscheidung in der Hauptsache erfolgen. Bei der Entscheidung durch Urteil oder Gerichtsbescheid nach § 105 SGG reicht es aus, dass das Gericht in den Entscheidungsgründen zur Wiedereinsetzung Stellung nimmt. Wird Wiedereinsetzung gewährt, ist der Beschluss unanfechtbar (§ 67 Abs. 4 Satz 2). Auch die Wiedereinsetzung durch Urteil oder Gerichtsbescheid ist für die übergeordneten Instanzen bindend (BVerfG, Beschluss v. 15.1.1980, 2 BvR 920/79, BVerfGE 53 S. 113). Die Behörde, die für die Entscheidung über einen Widerspruch und über die Wiedereinsetzung in eine versäumte Widerspruchsfrist zuständig ist, darf in besonders...

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