2.5.1.1 Entscheidungsart

 

Rz. 207

Das Prozessgericht entscheidet über den Ablehnungsantrag durch Beschluss (§ 46 Abs. 1 ZPO) vor Erlass der Endentscheidung und nicht erst in deren Entscheidungsgründen (BSG, Beschluss v. 2.5.2001, B 2 U 29/00 R zur Ablehnung eines Sachverständigen). Ist das Ablehnungsgesuch wegen Rechtsmissbrauchs oder aus anderen Gründen offensichtlich unzulässig, kann der Ablehnungsantrag in den Gründen der Hauptsacheentscheidung unter Mitwirkung der abgelehnten Richter zurückgewiesen werden (BFH, Beschluss v. 4.3.2014, VII B 131/13; Beschluss vom 11.2.2003, VII B 330/02, VII S 41/02). Eine Entscheidung durch gesonderten Beschluss ist dann nicht erforderlich (BSG, Urteil v. 29.3.2007, B 9a SG 18/06 B), ggf. ist eine Entscheidung gar entbehrlich (BGH, Beschluss v. 18.8.2016, III ZR 323/13: "Mit der Verbescheidung weiterer Eingaben in dieser Sache können die Kläger nicht rechnen"; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 21.3.2017, L 9 R 1736/16). Wird über ein Ablehnungsgesuch zu Unrecht im Urteil und nicht in einem selbständigen Zwischenverfahren entschieden, kann die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs das Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzen und damit einen Verfahrensmangel darstellen, der im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren geltend gemacht werden kann (BFH, Beschluss v. 5.4.2017, III B 122/16).

 

Rz. 208

Die Entscheidungen über ein Ablehnungsgesuch und eine Anhörungsrüge (hierzu auch Rz. 193) bzw. Gegenvorstellung können zeitgleich getroffen werden (BSG, Beschluss v. 19.1.2010, B 11 AL 13/09 C). Sofern die Gegenvorstellung als statthaft angesehen wird (sehr str., vgl. Komm. zu § 178a Rz. 6 ff.), kann diese zur Änderung des Beschlusses führen, wenn neue Tatsachen vorgetragen werden, die eine Ablehnung rechtfertigen. Fachgerichtlicher Rechtsschutz gegen eine mögliche Gehörsverletzung im Zwischenverfahren der Richterablehnung ist – wie bei allen sonstigen Zwischenverfahren auch – nach dem Grundsatz des wirkungsvollen Rechtsschutzes i. V. m. Art. 103 Abs. 1 GG notwendig, wenn in diesem Zwischenverfahren abschließend und mit Bindungswirkung für das weitere Verfahren über den Ablehnungsantrag befunden wird und die Entscheidung später nicht mehr im Rahmen einer Inzidentprüfung korrigiert werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss v. 12.1.2009, 1 BvR 3113/08; Beschluss v. 31.7.2008, 1 BvR 416/08). Die insoweit abweichende frühere fachgerichtliche Rechtsprechung (BGH, Beschluss v. 25.4.2007, AnwZ [B] 102/05; BAG, Beschluss v. 14.2. 2007, 5 AZA 15/06 [B]) ist überholt.

2.5.1.2 Zuständigkeit

 

Rz. 209

Zuständig für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch gegen einen Richter des SG war bis zum 31.12.2011 das LSG (§ 60 Abs. 1 Satz 2 SGG a. F.), bei Ablehnung eines Richters am LSG oder am BSG (§ 171 Abs. 1 SGG) der Senat, dem der Richter angehört in der Besetzung mit dem Vertreter des abgelehnten Richters. § 60 Abs. 1 Satz 2 SGG ist durch Art. 8 Nr. 4 Buchst. a und b des Vierten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze v. 22.12.2011 (BGBl. I S. 3057) mit Wirkung zum 1.1.2012 aufgehoben worden (vgl. Rz. 2). Nunmehr entscheidet das SG und nicht mehr das LSG über Ausschließung und Ablehnung von beim SG tätigen Gerichtspersonen. Über einen Ablehnungsantrag gegen Richter des LSG oder des BSG entscheidet der jeweilige Spruchkörper grundsätzlich ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters (Ausnahme: offensichtlich unzulässiges oder missbräuchliches Gesuch). Für diesen tritt der durch das Präsidium bestellte Vertreter ein (vgl. Rz. 211).

 

Rz. 210

Fraglich ist, wer innerhalb des SG für die Entscheidung über Befangenheitsgesuche zuständig ist. Die Antwort hierauf berührt den sensiblen Bereich des gesetzlichen Richters und ist von wesentlicher Bedeutung dafür, ob nach § 45 Abs. 1 oder Abs. 2 ZPO zu verfahren ist. Nach § 45 Abs. 1 ZPO entscheidet das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung. Wird hingegen ein Richter am Amtsgericht abgelehnt, so entscheidet ein anderer Richter des Amtsgerichts über das Gesuch (Satz 1). Einer Entscheidung bedarf es nicht, wenn der abgelehnte Richter das Gesuch für begründet hält (Satz 2).

 

Rz. 211

Dem § 45 Abs. 1 ZPO ist zuzuordnen, wenn ein Richter am LG, OLG oder BGH abgelehnt wird (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 45 Rn. 4). Infolge des § 60 Abs. 1 SGG greift diese Norm entsprechend auf den Fall der Ablehnung eines Richters am LSG oder BSG. Grundsätzlich entscheidet das Kollegium, dem der Abgelehnte angehört, ohne ihn unter Eintritt des geschäftsplanmäßigen Vertreters (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 45 Rn. 4). Ausgehend hiervon ist der Anwendungsbereich des § 45 Abs. 2 Satz 1 ZPO bestimmt. Gemäß dem Wortlaut bezieht sich die Norm auf den Fall, dass ein Richter am Amtsgericht abgelehnt wird. Ein Kollegium existiert hier nicht. Demzufolge entscheidet ein anderer Richter des Amtsgerichts. Das ist auf die Ablehnung eines Richters am SG zu übertragen. Das SG entscheidet durch Kammern in der Besetzung mit einem ...

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