Rz. 168

Mit der Ablehnung kann nur das Ziel verfolgt werden, den abgelehnten Richter an einer weiteren Tätigkeit in dem betreffenden Verfahren zu hindern. Ein Ablehnungsgesuch kommt deshalb nicht mehr in Betracht, wenn der Richter seine Tätigkeit im konkreten Verfahren beendet hat bzw. mit dem Fall nicht mehr befasst ist (vgl. BSG, Beschluss v. 2.8.2001, B 7 AL 28/01 B; BFH, Beschluss v. 14.5.1996, VII B 257/95; Beschluss v. 24.11.1994, X B 146-149/94; BAG, Beschluss v. 19.5.1993, 2 AZR 269/92 (A)), mithin keine Entscheidung des Richters mehr aussteht (BFH, Beschluss v. 25.7.2011, I B 10/11; Beschluss v. 10.11.2011, IV B 60/11; VGH Bayern, Beschluss v. 10.6.2013, 15 ZB 13.562). Ist eine weitere richterliche Tätigkeit im Verfahren ausgeschlossen, so besteht an der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch kein Rechtsschutzinteresse (vgl. BFH, Beschluss v. 18.3.1997, VII B 147/96; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 29.5.2006, L 1 SF 70/06; Beschluss v. 11.4. 2006, L 1 SF 47/06). Das ist z. B. dann anzunehmen, wenn die Instanz mit allen Nebenentscheidungen beendet ist und auch eine Abänderung der Entscheidung nicht mehr in Betracht kommt (BFH, Beschluss v. 2.11.2000, V B 105/00). Erledigt sich der Rechtsstreit vor Stellung des Ablehnungsgesuchs durch übereinstimmende Erledigungserklärungen, ist die Rechtshängigkeit der Streitsache in der Hauptsache mit Rückwirkung beendet und nach erfolgtem Einstellungsbeschluss mit Kostenentscheidung und Streitwertfestsetzung auch die Rechtsmittelinstanz vollständig abgeschlossen (BVerfG, Beschluss v. 28.4.2011, 1 BvR 2411/10 zur Nichtbescheidung eines noch vor Klagerücknahme erfolgten Ablehnungsantrags).

 

Rz. 169

Letztmöglicher Zeitpunkt für die Geltendmachung eines Ablehnungsgesuchs ist grundsätzlich derjenige vor vollständigem Abschluss der Instanz, denn die Beteiligten haben während des gesamten Verfahrens, jedenfalls solange richterliche Streitentscheidung gefordert ist, einen verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch auf den unvoreingenommenen gesetzlichen Richter (BVerfG, Beschluss v. 28.4.2011, 1 BvR 2411/10; VGH Bayern, Beschluss v. 7.11.2016, 10 BV 16.962). Ein Ablehnungsgesuch ist unzulässig, wenn der Rechtsstreit durch unanfechtbaren Beschluss erledigt ist. Die abschließende Erledigung durch eine unanfechtbare Entscheidung ist die äußerste Zeitschranke für die Ablehnung. Nach Eintritt der Rechtskraft kann die Besorgnis der Befangenheit nur mit der Nichtigkeitsklage und nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 579 Abs. 1 Nr. 3 ZPO geltend gemacht werden, nämlich dann wenn das Ablehnungsgesuch bereits vor Erlass für begründet erklärt worden war (vgl. BGH, Urteil v. 4.3.1999, III ZR 72/98; VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 8.6.2016, 1 S 783/16). Nach Abschluss der Instanz kann die Besorgnis der Befangenheit der dort entscheidenden Richter selbst dann nicht mehr geltend gemacht werden, wenn sich die Gründe für die Besorgnis erst aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ergeben (BVerwG, Beschluss v. 29.6.2016, 2 B 18/15).

 

Rz. 170

Ein im Anhörungsrügeverfahren (§ 178a SGG) gestelltes Ablehnungsgesuch, das einer unanfechtbaren das Verfahren rechtskräftig abschließenden Entscheidung nachfolgt, ist unzulässig. Die Anhörungsrüge hemmt den Eintritt der formellen Rechtskraft nicht (vgl. Redeker/von Oertzen/von Nicolai, VwGO, § 152a Rn. 3; Kopp/Schenke/W.-R. Schencke, VwGO, § 152a Rn. 4). Denn die Anhörungsrüge ist bewusst als außerordentlicher Rechtsbehelf ausgestaltet (ausführlich zum Verhältnis der Anhörungsrüge zum Ausgangsverfahren vgl. Frehse, Kompensation-ÜGG, S. 756 ff.). Die formelle Rechtskraft der Ausgangsentscheidung steht daher der Zulässigkeit des Ablehnungsgesuchs im Anhörungsrügeverfahren entgegen (zur Anhörungsrüge vgl. auch Rz 193). Erst wenn die Anhörungsrüge Erfolg hat und das Verfahren insoweit in die frühere Lage zurückversetzt wird (§ 152a Abs. 5 Satz 2 VwGO, § 178a Abs. 5 Satz 1 SGG) und daher eine rechtskräftige Entscheidung nicht mehr entgegensteht, kommt eine Richterablehnung in Betracht (BGH, Beschluss v. 24.1.2012, 4 StR 469/11; VGH Bayern, Beschluss v. 15.9.2017, 3 CE 17.1779; Beschluss v. 7.11.2016, 10 BV 16.962; OVG Thüringen, Beschluss v. 2.6.2017, 3 SO 79/17; LSG Bayern, Beschluss v. 14.2.2017, L 2 SF 292/16 AB; VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 8.6.2016, 1 S 783/16; OLG Nürnberg, Beschluss v. 18.10.2006, 2 St OLG Ss 170/06: Ablehnungsgesuch unzulässig, wenn der behauptete Gehörsverstoß nicht vorliegt). Das OVG Thüringen überträgt diesen rechtlichen Ansatz – zutreffend- auf alle außerordentlichen Rechtsbehelfe (Beschluss v. 2.6.2017, 3 SO 79/17).

 

Rz. 171

Nicht ausreichend ist die abstrakte Möglichkeit, dass der Richter erneut über weitere Anträge des Beteiligten zu entscheiden hat. Die Einlegung eines Rechtsmittels bewirkt, dass es dem Instanzgericht, vorbehaltlich einer Entscheidungsberichtigung (vgl. §§ 138 und 139 SGG) oder einer Entscheidungsergänzung (vgl. § 140 SGG) verwehrt ist, im ursprünglichen durch Gerichtsent...

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