1 Einleitung

 

Rz. 1

Dem sozialgerichtlichen Vollstreckungsrecht nach §§ 198 bis 201 wird wenig praktische Bedeutung beigemessen. Gegen Privatpersonen gerichtete Leistungsbescheide der sozialrechtlichen "öffentlichen Hand" sind nach § 66 SGB X zu vollstrecken (BSG, Urteil v. 10.8.1995, 11 RAr 91/94, BSGE 76, 233). Die Vollstreckung durch Privatpersonen gegen die öffentliche Hand wird im Regelfall nicht als erforderlich erachtet, da letztere die im gerichtlichen Verfahren titulierte Leistungspflicht in der Regel befolgt. Die gerichtliche Praxis zeigt allerdings in letzter Zeit häufiger, dass solche Leistungsverpflichtungen nicht, nicht rechtzeitig oder nur unzureichend umgesetzt werden. Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG zwingt in diesen Fällen zu einer effektiven Anwendung des vollstreckungsrechtlichen Instrumentariums, um insbesondere die Erbringung existenzsichernder Leistungen sicherzustellen. Gewöhnlich führt bereits die Einleitung eines Vollstreckungsverfahrens zur Leistungserbringung. Auch in diesen Fällen muss allerdings in kostenrechtlicher Hinsicht Klarheit bestehen, ob die Einleitung des konkreten Zwangsvollstreckungsverfahrens zulässig war. Dies setzt ein für den Rechtsanwender konsistentes und nachvollziehbares Vollstreckungssystem voraus. Die §§ 198 bis 201 erweisen sich insoweit als wenig geeignet, da sie weitgehend mit Verweisungen arbeiten. Nur in Teilen lässt sich ein konsistentes System herausarbeiten.

2 Rechtspraxis

 

Rz. 2

§ 198 Abs. 1 verweist auf die Vollstreckungsregeln des Achten Buches der Zivilprozessordnung (§§ 704 bis 915 ZPO), soweit sich nicht aus dem SGG etwas anderes ergibt.

2.1 Vollstreckungsvoraussetzungen

 

Rz. 3

Grundsätzlich sind damit vier Vollstreckungsvoraussetzungen in Bezug genommen, nämlich der Vollstreckungsantrag, der gerichtliche Titel mit vollstreckungsfähigem Inhalt, die Erteilung der Vollstreckungsklausel und die Zustellung einer Ausfertigung des Titels an den Vollstreckungsschuldner.

 

Rz. 4

Der Vollstreckungsantrag ist an das zuständige Vollstreckungsorgan zu richten, dessen Bestimmung sich nach dem Inhalt des zu vollstreckenden Titels richtet. Insoweit bietet das SGG zwei Sonderregelungen. Gemäß § 200 erfolgt die Vollstreckung sozialgerichtlicher Titel zugunsten der öffentlichen Hand nach den Regeln des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes des Bundes. Gemäß § 201 sind Verpflichtungsurteile und eine Reihe weiterer Entscheidungsarten gegen die öffentliche Hand im Wege des mittelbaren Zwangs (Zwangsgeld) zu vollstrecken. Über die Verweisung nach § 198 Abs. 1 verbleiben sodann als Gegenstand der Vollstreckung nach den Regeln der ZPO die Fälle, in denen eine Privatperson gegen eine Privatperson oder eine Privatperson aus einem nicht von § 201 erfassten Titel gegen die öffentliche Hand vollstreckt. Die letztere Fallgruppe erfasst nach h. M. vor allem die Entscheidung auf eine Anfechtungs- und (unechte) Leistungsklage und auf die allgemeine Leistungsklage hin (z. T. abweichend die hier vertretene Auffassung, siehe Rn. 15 ff.). Ob die Vollstreckung zwischen öffentlichen Händen von den Sonderregeln des SGG erfasst wird, ist umstritten (siehe § 200 Rn. 7).

Die für die sozialgerichtliche Zwangsvollstreckung geeigneten Titel sind in § 199 Abs. 1 speziell geregelt, siehe im Einzelnen die dortige Darstellung.

 

Rz. 5

Die Vollstreckungsklausel wird vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zum Zwecke der Zwangsvollstreckung auf die dem Gläubiger erteilte Ausfertigung der gerichtlichen Entscheidung gesetzt (§§ 724 Abs. 2, 725 ZPO). Zuständig ist der Urkundsbeamte des Prozessgerichts des ersten Rechtszuges. Wenn der Rechtsstreit in einer höheren Instanz anhängig ist, erfolgt die Erteilung durch den Urkundsbeamten dieses Gerichts. Soweit eine Vollstreckungsklausel im Einzelfall nicht für erforderlich erachtet wird, wird dies bei den einzelnen Vollstreckungsarten gesondert dargestellt.

 

Rz. 6

Der Urkundsbeamte prüft die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung, also ob ein Titel vorliegt und dieser einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat (siehe dazu auch § 199 Rn. 15). Gestaltungs- und Feststellungsurteile haben generell keinen vollstreckungsfähigen Inhalt. Dies gilt insbesondere auch für erfolglose Anfechtungsklagen gegen behördliche Leistungsbescheide. Vollstreckungstitel bleibt insoweit der angefochtene Verwaltungsakt. Materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch (insbesondere der Erfüllungseinwand) sind im Klauselerteilungsverfahren unbeachtlich. Zudem prüft der Urkundsbeamte, ob ein Rechtsmittel gegen den Titel eingelegt wurde und ob dieses aufschiebende Wirkung besitzt. Grundsätzlich sind alle sozialgerichtlichen Entscheidungen sofort vollstreckbar. Der Eintritt der formellen Rechtskraft ist nicht abzuwarten. § 198 Abs. 2 schließt die Anwendung der Regeln der ZPO über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus. Als schuldnerschützender Ausgleich besteht zunächst die Möglichkeit, dass der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts nach § 199 Abs. 2 die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzt. Ausnahmsweise kommt a...

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