Rz. 16

Für die Vollstreckung privatrechtlicher Titel mag dieses Vollstreckungsvorverfahren in der Abwägung der gegensätzlichen Interessen gerechtfertigt sein.

Gerade für Gläubiger existenzsichernder Sozialleistungen erscheint dieser Weg allerdings als sehr schwerfällig. Zwar gilt das Erfordernis der Ankündigung der Vollstreckung und der Einhaltung einer Wartefrist nicht, wenn aus einer einstweiligen Verfügung vollstreckt wird, § 882a Abs. 5 ZPO. Hierunter sind auch einstweilige Regelungsanordnungen nach § 86b Abs. 2 zu fassen, wenn diese auf eine konkrete Geldleistung gerichtet sind. Es wäre allerdings systemwidrig, wenn der Inhaber eines sozialgerichtlichen Leistungstitels gezwungen wäre, zur zeitnahen Durchsetzung seines Anspruchs einen weiteren Titel in Gestalt einer Regelungsanordnung zu schaffen. Hierbei ist zu beachten, dass ein Rechtsschutzbedürfnis für die einstweilige Regelung regelmäßig nur für zukünftige Leistungen zu bejahen ist. Die Lösung muss daher auf der vollstreckungsrechtlichen Seite gefunden werden.

 

Rz. 17

Dabei bietet es sich an, für die Durchsetzung von Geldleistungstiteln gegen die öffentliche Hand generell auf § 201, also auf die Vollstreckung im Wege des Zwangsgeldes zurückzugreifen. Die Verweisung des § 198 Abs. 1 auf die Vollstreckungsregeln der ZPO greift lediglich dann ein, wenn nicht das SGG eine eigene Regelung des Vollstreckungsfalls bietet. Das damit notwendige konzeptionelle Bindeglied zwischen der Vollstreckung eines Zahlungstitels und der Verpflichtungsvollstreckung nach § 201 stellt insoweit die Vollstreckung des in § 131 Abs. 1 Satz 1 angesprochenen Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchs dar. Hierbei handelt es sich um eine Naturalrestitution, die aber auch eine Geldleistung beinhalten kann (siehe § 131 Rn. 10).

 

Rz. 18

Kommt § 201 zur Anwendung, so ist das Sozialgericht als Prozessgericht des ersten Rechtszuges zuständig, was regelmäßig eine Verfahrensführung am Wohnsitz des Vollstreckungsgläubigers zulässt. Das Sozialgericht bewertet den angemessenen Zeitraum, in dem die freiwillige Leistungserbringung durch die Behörde erwartet werden kann, und die Fristen, in denen es ein Zwangsgeld androht bzw. festsetzt, nach billigem Ermessen. Als Prozessgericht weiß es in der Regel um die konkrete Situation des Vollstreckungsgläubigers und kann deshalb die Eilbedürftigkeit der Rechtsdurchsetzung beurteilen.

 

Rz. 19

Die Vollstreckung des Zwangsgeldes bietet zwar nur mittelbaren Zwang, so dass eingewandt werden könnte, der Schuldner müsse sich nur als ausreichend renitent erweisen, um eine Realisierung des Anspruchs zu vereiteln. Es ist aber zu beachten, dass die Leistungsverweigerung der öffentlichen Hand in aller Regel nicht auf mangelnde Geldmittel, sondern auf Überlastung oder noch bestehende Meinungsunterschiede zurückzuführen ist. Der "klamme" private Schuldner wird durch die Vollstreckung eines Zwangsgeldes noch ärmer, womit der erfolgreiche Geldvollstreckungszugriff unwahrscheinlicher wird. Den finanzstarken Schuldner trifft hingegen gerade das – mehrfach festsetzbare – Zwangsgeld, weil es ihm über die bereits titulierte Schuld hinaus Mittel entzieht. Der öffentlich-rechtliche Schuldner muss sich insoweit gegenüber seiner Aufsichtsbehörde rechtfertigen. Dieser starken Leistungsmotivation lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass die Vollstreckung des Zwangsgeldes ihrerseits umständlich ist. Sie erfolgt im SGG über die Verweisung der §§ 201 Abs. 2, 200 nach den Regeln des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes des Bundes und dort nach den Regeln der Geldvollstreckung. Zwar gelten auch dort über die Weiterverweisung in die Abgabenordnung für die öffentliche Hand schuldnerschützende Regelungen. Die zuständige Aufsichtsbehörde muss ihre Zustimmung zur Zwangsvollstreckung erteilen (§ 255 Abs. 1 Satz 2 AO). Dass die Aufsichtsbehörde hier aber erst nach Festsetzung des Zwangsgeldes involviert wird, baut dem Vollstreckungsschuldner eine goldene Brücke. Durch eine Leistung auf die Zwangsgeldandrohung hin bleibt ihm die Rechtfertigung gegenüber der Aufsichtsbehörde erspart. Soweit schließlich anzuführen ist, dass die Beschwerde gegen die gerichtliche Androhung bzw. Festsetzung des Zwangsgeldes nach § 175 Satz 1 aufschiebende Wirkung besitzt, so ist in der Regel mit einer schnellen Entscheidung der zweiten Instanz zu rechnen. Denn die Auseinandersetzung um Erfüllung (einschließlich eines etwaigen Streits um die Titelauslegung), Unmöglichkeit oder sonstige Einwendungen ist in der Regel bereits im Vollstreckungsverfahren nach § 201 vor dem Sozialgericht geführt worden.

 

Rz. 20

Die Chance, dass eine Leistung auf den mittelbaren Druck des Zwangsgelds hin unverzüglich erbracht wird, ist in der Gesamtschau damit deutlich größer, als dass der oben beschriebene Vollstreckungszugriff über § 882a ZPO zu einem zeitnahen Erfolg führt. Zu den Möglichkeiten der verfahrensordnungsübergreifenden Ausgestaltung effektiver Zwangsvollstreckung siehe auch BVerfG, Kammerbeschluss v. 9.8.1999, 1 BvR 2245/98, NVwZ 1999, 13...

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