Rz. 6

Mittels des § 159 soll sichergestellt werden, dass den Beteiligten die erste Instanz nicht verlorengeht und statt dessen die Hauptsache nur in der zweiten Instanz verhandelt wird (BSG, Urteil v. 31.7.1968, 11 RA 307/67, BSGE 28 S. 179; Beschluss v. 31.1.1962, 2 RU 85/60, SozR Nr. 5 zu § 159 SGG). Während § 159 Abs. 1 Nr. 2 auf der Erwägung beruht, dass es in einem solchen Falle an einer ordnungsmäßigen Grundlage für die Entscheidung im ersten Rechtszuge fehlt, haben Nr. 1 und Nr. 3 gemeinsam, dass im ersten Rechtszuge eine Sachprüfung entweder völlig oder zu entscheidenden Tatfragen unterblieben ist; sie sollen in solchen Fällen verhindern, dass den Beteiligten eine Tatsacheninstanz verlorengeht. Außerdem ermöglichen sie es dem Berufungsgericht, sich von umfangreichen Beweiserhebungen zu entlasten (BSG, Beschluss v. 31.1.1962, 2 RU 85/60, SozR Nr. 5 zu § 159 SGG). Dieses Ziel wird infolge der Neuregelung des Abs. 1 zukünftig nur noch eingeschränkt zu verwirklichen sein (vgl. oben Rz. 2).

 

Rz. 7

Aufgabe des LSG als Berufungsinstanz ist es insoweit, die sozialgerichtliche Entscheidung auf Fehler zu überprüfen. Stellt das LSG einen solchen Fehler fest, so ist er zu korrigieren. Daraus resultiert die grundsätzliche Verpflichtung des LSG zu einer eigenen Sachentscheidung. Das LSG ist wie das SG eine Tatsacheninstanz, was unmittelbar aus § 159 Abs. 1 folgt, und verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Hiernach hat grundsätzlich das LSG selbst in der Sache abschließend zu entscheiden und zwar durch Zurückweisung der Berufung im Falle ihrer Unbegründetheit oder durch Aufhebung bzw. Abänderung des angefochtenen Urteils des SG und Entscheidung nach den Berufungsanträgen im Falle der Begründetheit der Berufung. Dies gilt auch für neuen, erst in zweiter Instanz in den Rechtsstreit eingeführten Prozessstoff (Klageänderung, Widerklage). Insoweit ist eine Zurückverweisung deswegen, weil keine erstinstanzliche Verhandlung stattgefunden hat, nicht möglich.

 

Rz. 8

Eine unbegründete Berufung ist zurückzuweisen. Die unzulässige Berufung ist zu verwerfen (§ 158). Die Zurückverweisung ist statthaft, wenn die Voraussetzungen des § 159 vorliegen. Das LSG hebt die Entscheidung des SG auf; entscheidet es hingegen in der Sache, ändert es ab (Zeihe, SGG, 11/2010, § 159 Rn. 4a).

 

Rz. 9

Nur unter den engen Voraussetzungen des § 159 darf das LSG von einer Sachentscheidung absehen und die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das SG zurückverweisen. Der Ausnahmecharakter des § 159 kommt in zweifacher Weise zum Ausdruck. Zum Einen kommt eine Zurückverweisung nur den abschließend aufgezählten Voraussetzungen in Betracht. Zum Anderen steht die Zurückverweisung, auch wenn diese Voraussetzungen vorliegen, im pflichtgemäßen Ermessen des LSG. Ein erweiternde oder analoge Anwendung ist nicht möglich (Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 130 Rn. 5).

 

Rz. 10

Auch in § 538 ZPO werden Gesichtspunkte der Prozesswirtschaftlichkeit von denen der materiellen Richtigkeitsgewähr des Urteils gegeneinander abgegrenzt. § 538 Abs. 1 ZPO verpflichtet das Berufungsgericht, grds. in der Sache selbst zu entscheiden, auch wenn das erstinstanzliche Verfahren unvollständig oder fehlerhaft war und die Herbeiführung der Entscheidungsreife zusätzlichen, vom Erstgericht nicht geleisteten Prozessaufwands bedarf. Eine Zurückverweisung kommt nur in den in § 538 Abs. 2 ZPO normierten Fallgruppen und grds. nur dann in Betracht, wenn zumindest eine Partei dies beantragt. Hier treten Gesichtspunkte der Prozesswirtschaftlichkeit in den Hintergrund, um die Parteien vor dem durch einen gerichtlichen Verfahrensfehler bedingten Verlust einer Instanz zu bewahren (Oberheim, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 3. Aufl. 2011, § 538 Rn. 1).

 

Rz. 11

Auch das OVG hat nach § 130 VwGO grds. eine abschließende Entscheidung zu treffen. Ist die Berufung zulässig, so muss eine Sachentscheidung durch Urteil, ggf. durch Beschluss nach § 130a VwGO ergehen, soweit nicht die Sonderregelung des § 130 VwGO greift. Nur unter den dort näher umschriebenen Voraussetzungen wird dem OVG freigestellt, nach Ermessen von einer eigenen abschließenden Sachentscheidung abzusehen und die Sache unter Aufhebung des angegriffenen Urteils an das VG zurückzuverweisen. Mittels des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess (RmBereinVpG) v. 20.12.2001 (BGBl. I S. 3987) wurden die materiellen Voraussetzungen für eine Zurückverweisung erhöht und diese zudem verfahrensrechtlich von einem Antrag eines Beteiligten abhängig gemacht.

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